Kategorien
Alle Kategorien Hodenkrebs

Diagnose Hodenkrebs – und dann?

  • Du bekommst die Diagnose Krebs und es wird schlagartig dunkel im Kopf.
  • Hodenkrebs hat sehr gute Heilungschancen.
  • Die Verzweifelung wird erträglich.
  • Jedes mal, wenn Du mit jemandem darüber redest, geht es Dir etwas besser.
  • Du wirst Dich daran gewöhnen und Du wirst ruhiger und gelassener als in Deinem Leben zuvor.
  • Spätestens wenn die Theraphiemaschinerie los geht, fühlst Du dich nicht mehr allein.
  • Während die Chemo in Dich reintropft, isst Du mit Genuss Hähnchenkeule oder Pudding.
  • Du bekommst aureichende Pausen zwischen den Therapiezyklen.
  • Die Therapie ist kein Spaziergang, aber Nebenwirkungen und Schmerzen sind erträglich.
  • Die Therapie ist Deine einzige Chance, es gibt keine Alternative, wenn Du überleben willst.

Das glaubst Du jetzt natürlich alles nicht, aber es ist kein Traum, aus dem Du gleich aufwachen wirst, es ist Deine neue Realität, es gehört jetzt zu Dir. Finde Dich damit ab, nimm es an. Kopf hoch ist ein dummer Spruch. Versuche tatsächlich ganz bewust den Kopf und den Rücken gerade zuhalten, laufe mit festem Schritt als ob Du Dich von niemandem aufhalten lassen willst, atme ruhig und tief und es wird Deinem Hirn besser gehen. Wenn Du über die Krankenhausflure mit gesenktem Blick schleichst, fühlst Du dich beschissen und krank. Gehst Du gerade und fest, auch bei Schmerzen und Schlappheit, meldet Dein Hirn, wir schaffen das. Erwarte vom Pflegepersonal im Krankenhaus nicht, dass die Dich in den Arm nehmen und trösten. Die Leute sind nicht die Müllkippe für Deine seelischen Probleme, die haben genug Tagesgeschäft. Leidensgenossen sind da viel bessere Zuhörer, haben viel Zeit und ähnliche Probleme und das gleiche Bedürfnis, sich auszutauschen. Reden und Zuhören ist ein Geben und Nehmen und wenn am Ende beide lächeln, ja, das wird oft passieren, war es eine echte win-win Situation. Erwarte von den Ärzten keine Aufklärung im Sinne eines Medizinstudiums, dafür haben die keine Zeit. Die werden Dir nur das Allernötigste sagen und Dich nicht mit Aussagen über mögliche Nebenwirkungen verunsichern. Google ist Dein Freund, aber lese vor allem Foreneinträge mitgebührendem Abstand und gehe davon aus, dass Wikipedia ähnlich einem Beipackzettel jede nurdenkbare Nebenwirkung beschreibt. Achte bei allem immer auf das Veröffentlichungsdatum, noch vor wenigen Jahren waren Theraphien anders, Nebenwirkungen stärker und Prognosen schlechter.

Meine Geschichte beschreibt Hodenkrebs Stadium IIA, Diagnose im August 2011, Lymphknotenbis zu 13 mm im Bauchraum und leicht erhöhte Tumormarker (AFP ca. 24 ng/ml, ßHGC 84mlU/ml, LDH normal). Nach Hodenentfernung links (Maligner Tumor, embryonales Karziom, 2,5cm) folgen drei PEB Chemo Zyklen. Ich bin medizinischer Laie und kann die Dinge nur so gut beschreiben, wie ich sie verstanden habe. Die Mediziner mögen mir verzeihen oder mich besser informieren 😉

Das Leben läuft

NRW Tag in Siegen. Spätsommer 2010. Wiederwillig gehe ich mit meiner Familie den Berg hinunter in der Erwartung auf viel Stress, sinnloses Zeugs und vor allem mit dem Ausblick auf den unerfreulichen Aufstieg auf den Berg zurück nach Hause. Besagter Berg ist nicht der Mount Everest, lediglich 100 Höhenmeter liegen zwischen Berg und Tal. Vor 7 Jahren hatte ich unser neues Heim, ein freistehendes Einfahmilienhaus in endlosen Stunden und mit viel Hilfe von September bis April so weit um- und ausgebaut, dass wir einziehen konnten. In den folgenden Jahren wurden die letzten Zimmer und Bäder kernsaniert, am Ende der Aktion fühlte ich mich körperlich wieder verdammt fit.

Ein paar Jahre zuvor, bevor unser Großer geboren wurde, war ich in einem vergleichbaren körperlichen Tief wie vor dem Beginn des Hausumbaus. Damals fing ich an zu Laufen und Rad zu fahren. Nach drei Jahren Training lief ich 20 km am Stück. Über Zeiten rede ich besser nicht. Ich hab die 20 km geschafft, nachdem ich ein paar Jahre in der Dämmerung im Hochsommer bei +35°C wie im Winter bei Glatteis und -20°C die immer gleiche aber reizvolle 10 km Runde um den malerischen See absolviert hatte. In dieser Zeit erfuhr ich alle typischen Anfängerlaufprobleme. Schmerzende Knie, Hüften, Sprunggelenke, Füße, einschlafende Füße beim Laufen – egal: Laufen war Freiheit, zumindest oder gerade im Kopf.

Zum Zeitpunkt des NRW Tages in Siegen fühlte ich mich körperlich wie ein Greis. Das Programm war hervorragend, allerdings mit inzwischen zwei Kindern sehr anstrengend. Nach einigen Metern machte meine Frau den Vorschlag , dass wir für diesen Tag je mit einem Kind getrennte Wege gehen. Der Große mit Mama, der Kleine mit Papa. Ich nahm dankend an. Der Große war seit einigen Jahren aktiv im Kampfsport Aikido tätig. Der Kleine mochte allerdings nicht das tun, was der große Bruder macht, sondern, so die Literatur, die man in solchen Fällen als Eltern zu Rate zieht, etwas Eigenes haben und machen. Lass uns mal schauen, dort gibt es ne Karatevorführung. Er war gnädig und stimmte zu. Fünf Schwarzgurte gingen in Position und begannen mit einfachen sogenannten Grundschulübungen – Kihon. Dabei werden Schläge, Tritte und Abwehrtechniken in einfachster aber absolut präziser Form mehrfach wiederholt. Nach fünf Schrittfolgen waren die Karateka beim Publikum angekommen. Eine Faust stoppte wenige Zentimeter vor meiner Nase. Gleichzeitig erstarrte der gesamte Körper des Karateka als ob er in Sekundenbruchteilen zu einer Marmorstatue gefroren wäre. Nicht das geringste Nachschwingen des Armes, dessen Faust scheinbar fast meine Nase getroffen hätte, war erkennbar. Zu diesem Zeitpunkt war mir klar: Ich will wissen, wie das geht!

Ich hab mich dann am Abend mühsam mit meiner Familie den Berg hochgeschleppt und war froh, als unser Haus in Sichtweite war. Ein paar Tage später war zu meinem eigenen Erstaunen der Gedanke an Karate noch nicht verfolgen. Mir kamen Gesprächsfetzen aus der Vergangenheit in den Sinn, wo ich meiner Frau auf den Vorschlag mal in einen Verein zu gehen, lediglich erwiedern konnte: Niemals, keine Vereinsmeierei.

Ein paar Tage später schob ich meinen Sohn vor und schaute begeistert zu, wie er seine erste Anfängerstunde im Karate absolvierte. Da war das Eis gebrochen, ich fasste allem Mut zusammen und ging zum Anfängertraining für Erwachsene. Erleichtert wurde meine Entscheidung, nachdem unser damaliger Azubi gleich mitkam. Der schwerste Schritt im Karate-Do war getan, ich stand im Dojo und es gab kein Zurück mehr. Mukoso lautete das erste Kommando und bedeutete für uns Anfänger: Auf die Knie, Augen zu, Schnauze halten. Beendet wird diese kurze Meditation mit Mokuzo Jame, woraufhin ich fast aufgab, da meine Knie unerträglich schmerzten nach den gefühlten 2 Minuten, die tatsächlich vermutlich keine 30 Sekunden dauerten. Zehn Minuten später lernte ich bereits die dritte Angriffstechnik und war begeistert. Der Trainer brannte in meinem Hirn die Illusion ein, ich würde fast die Hälfte der Karatetechniken beherrschen, was sich in den folgenden Monaten als geringfügiger Trugschluss erwies. Auf jeden Fall verspürte ich beim sogenannten Abgrüßen und dem abschließenden Mokuso ein sehr wohliges Gefühl. Längst war klar: Das ist es. Ich ärgere mich noch heute darüber, dass ich den Sport nicht schon dreißig Jahre früher für mich entdeckt habe. Karate erfordert Konzentration ausschliesslich auf den Körper, die Übungen und Techniken beanspruchen alles vom kleinen Zeh bis zum Ohrläppchen.

Wenige Monate später schaue ich mit nacktem Oberkörper in den Spiegel. Karate hat seine Spuren hinterlassen. Was ich sehe, sieht nach ein wenig Fitnessstudio aus und vielen Tonnen gestämmten Eisens. Na ja, immerhin ein deutlicher Unterschied zu der Speckschicht, die langsam aber stetig in den letzten Jahren gewachsen war. In der Tat hab ich in der ganzen Zeit lediglich in japanischer Unterwäsche barfuss Übungen mitgemacht. Nie ein Gramm Eisen gestämmt. Die erste Kata war für für mich ne unerreichbare Ballettchoreografie. Aber nach zwei bis drei Trainingseinheiten gelang mir auch dies. Die erste und leichteste Kata von fast dreißig im Shotokan Karate. Jedes Training brachte mich zunächst weiter weg vom Ziel, Karate zu können. Aber wie der Name schon sagt: Kara Te – Do – Leere Hand Weg. Die Betonung liegt auf Weg. Für den Karateka ist der Weg das Ziel – Die Perfektion ist quasi unerreichbar. Genau das ist das Spannende: An den einfachsten Grundübungen gibt es nix, was mach nicht noch besser, schneller, stärker, perfekter und vollendeter machen könnte. Und mit jeder Trainingseinheit bildet man sich ein, suggerieren einem die Trainer, dass man etwas besser geworden ist.

Gestern Abend hatte ich mal wieder ne kurze Trainingseinheit von anderthalb Stunden, in der Woche komme ich auf zwölf Stunden, wenn der Job es erlaubt.

Das Spiel beginnt

An einem ganz normalen Donnerstagmorgen wache ich gegen sechs Uhr auf. Die Vögel zwitschern, die ersten Sonnenstrahlen beißen durch die Rolladenschlitze in mein Gesicht. Völlig leidenschaftslos fasse ich mir eher automatisch an die Eier und fühle links einen Knubbel. Ich drehe mich wieder um und versuche noch ein paar Minuten Schlaf zu tanken. Ein Blitz fährt durch den Kopf. Was war das? Ich taste abwechselnd linkes und rechtes Ei, bis der Hoden weh tut. Den Knubbel find ich nicht wieder, aber da gibt es einen Unterschied: Links unten ist das Ei deutlich härter als rechts. Ich springe aus dem Bett, auf dem Weg zum hoffentlich erlösenden Google. Meine Frau, die sich sonst nicht um meine Aufstehgewohnheiten kümmert, kommt besorgt hinterher: Was ist los? Nichts, mir ist nur grad was eingefallen, muss mal schnell was nachsehen im Rechner.

Google bringt erwartungsgemäß auf meine Suchanfrage nur Hiobsbotschaften. Also die Gegenprobe: Hodenerkrankung – Verhärtung – gutartig. Keine Ergebnisse. Also Suche nach dem nächsten Urologen. Zwei Stunden später sitze ich im überfüllten Wartezimmer und kann mich nicht auf den neuesten Spiegel konzentrieren, den ich in der Hand halte und mit dem ich mich beim Zahnarzt im Wartezimmer problemlos und gerne eine ganze Stunde beschäftige.

Ich werde hineingerufen und gebeten mein Problem zu schildern. Der Doc, der zunächst gut gelaunt mit einem Lächeln zuhört, fragt mich nach Schmerzen beim Urinieren. Ich verneine stolz, nein, es tut nix weh. Der Blick des Doc verfinstert sich und er bittet mich, auf seiner Untersuchungsliege Platz zu nehmen. Seine nächste Aussage nach einem sehr kuren Abtasten lautet: Flöhe oder Läuse – Beides ist Käse. Ich interveniere: Sorry, hab ich nicht verstanden. Er eröffnet mir, dass es ein Tumor sein kann und macht sein Ultraschallgerät klar. Als wir gemeinsam draufblicken, wird sein Blick noch etwas finsterer. Ich frage daraufhin, inwieweit er sich sicher ist. Schließlich bin ich in die Praxis gekommen, um mir bestätigen zu lassen, dass man nicht immer gleich an das Schlimmste denken soll. Ich wollte nun hören: Ah, kein Problem, ein paar Pillen und … – oder machen Sie mal drei Tage Pause, alles wird wieder gut. Aber der ersehnte Satz kommt nicht. Es folgte ein: Ok, wenn Sie wollen, kann meine Kollegin mal kurz tasten. Ich war einverstanden. Eine verständnisvolle Frau würde die schwarzen Wolken schnell vertreiben. Die Frau kam, die Wolken blieben. Sie begrüßte mich sehr freundlich, tastete kurz, nickte anschließend dem Überbringer der schlechten Nachricht kurz, aber bedeutsam zu und verschwand kommentarlos.

An diesem Morgen war der Himmel über Siegen wolkenlos. In meinem Kopf wurde es schlagartig finster. Alles folgende nahm ich wie durch eine Watteschicht wahr. Der Urologe machte mir sofort einen Termin in der Klinik und entließ mich mit den Worten: Das ist ne kleine Nummer. Der Hoden wird freigelegt, nach dem Schnellschnitt bei positivem Befund entfernt und eventuell wird ne kleine Nachbehandlung fällig. Alles kein Problem, ich würde es mit nahezu einhundertprozentiger Sicherheit überleben und geheilt aus der Nummer rauskommen.

Inzwischen kreisten meine Gedanken um meine drei Gehirnzellen, die sich bereits auf Krebs und Tod eingeschossen hatten. Das anschließende Blutabnehmen zwecks Tumormarkerermittlung habe ich ebenso wenig wahrgenommen wie den Weg zum Auto und die Fahrt nach Hause. Die Garage verließ ich mit zwei Flaschen Bier in der Hand. Beim Schließen der Garage kam mir meine Frau mit fragendem Blick auf die Bierflaschen entgegen. Hodenkrebs ist heilbar sagte ich nur, setzte mich auf die Treppe, öffnete die erste Bierflasche, zündete mir eine Zigarette an und fing an zu heulen.

Das restliche Hirn schaute hilf- und fassunglos auf die drei amoklaufenden Zellen, die sich mit dem zentralen Thema befassten und es dabei schafften, alles andere lahmzulegen. Schlimm dabei war das Bewustsein aus dem Resthirn und die Machtlosigkeit gegenüber den gefühlten drei Zellen, die in den nächsten Tagen in meinem Kopf das Sagen behielten.

Mir wurde nun bewußt, wie mächtig Worte tatsächlich sind: wahrscheinlich ein bösartiger Tumor. Dein Hirn läuft wochenlag Amog und Du bist nicht mehr in der Lage, Dich auf mehr als ein bis zwei Sätze zu konzentrieren. Ein kleiner Zeitungsartikel geht schon nicht mehr.

In der Firma hab ich dann eine kurze email rumgeschickt: War beim Doc; Gute Nachricht: Hodenkrebs ist heilbar. Damit wussten alle Bescheid und ich konnte mich in den Sumpf verabschieden. Der Sumpf bestand aus einer Woche, in der der Alkoholpegel nie unter 1 Promille gesunken ist und dauerte bis zum nächsten Dienstag, dem Tag, zu dem ich zum ersten Mal im Leben ein Krankenhaus als stationärer Patient betreten sollte. Mein Kopf war voller Vorurteile über Ärzte und Krankenhäuser und ich hatte jetzt richtig Angst.

Das verlorene Ei

Meine Frau fuhr mich in Begleitung unserer beiden Kinder an den Hintereingang, ich stieg aus und drehte mich nicht mehr um. Es nahm seinen Lauf. An der zentralen Patientenaufnahme saßen etwa hundert Leute, von den fünf Schaltern war einer besetzt. Ich kam mir total verlassen vor und stellte mich mutlos an den Tresen. Nach gefühlten zehn Minuten bemerkte mich die Frau am einzigen besetzten Schalter und forderte mich freundlich auf, zu ihr zu kommen. Ich erhielt eine Wartemarke und machte mich auf endlose Stunden gefasst. Nachdem ich mich gesetzt hatte und eine zerfetzt Zeitung in der Hand hielt , schaute ich kurz auf die Leuchtanzeige und stellte fest, dass ich bereits dran war. Die Formalitäten im Aufnahmebüro waren erstaunlich überschaubar und ich wurde nach ein paar Minuten verabschiedet mit den Worten: Melden Sie sich auf Station 41. Ich musste durchatmen und ging zunächst verstohlen vor die Tür zu einer letzten Zigarette. Angekommen auf Station 41 stand ich vor dem Dienstzimmer der Schwestern. Ich hielt meine Aufnahmepapiere hoch und fragte nach einem kurzen Zögern in die Runde: Bin ich damit bei Ihnen richtig? Ein freundlicher Arzt nahm meine Papiere entgegen, schaute kurz drauf und meinte: Morgen nehmen wir ihn raus. Mir fiel in diesem Moment nichts blöderes ein, als zu sagen: Cool. Er schaute mich für einen kurzen Augenblick erstaunt an und sprach mit verständnisvollem Blick über seine Brille: Sie werden hier wieder gesund rausgehen. Ich hätte ihn umarmen können und sagte nur: Danke.

Er führte mich in den Patientenaufenthaltsraum. Der war aufgrund von Umbaumssnahmen quasi fensterlos. Auf einem alten Sideboard standen noch ältere abgegriffene Bücher. Zusammengedrängte Stühle und Tische nahmen jeden Platz zum Atmen. Die folgende Wartezeit von einer Viertelstunde war die längste, die ich in der nachfolgenden Woche ertragen musste.

Ein ausserordentlich freundlicher Arzt holte mich ab zum Sprechzimmer und begann mit den Formalitäten. Vorerkrankungen, wann entdeckt, Allergien, Alkoholkonsum. Es folgten Blutabnahme, Abtasten und Ultraschall. Das Klinikum ist ein Lehrkrankenhaus, der Doc stellte mir den neuen Kollegen vor, der nun zum ersten Mal Blut abnehmen sollte. Nach dem Abtasten durfte er auch mal tasten, nach dem Ultraschall auch mal Schallen. Er muss es ja irgendwie lernen, er hat sich geschickt angestellt und Abtasten und Ultraschall diskret und schnell durchgezogen. Klares Ergebnis: Das Ding muss so schnell wie möglich raus. Der Doc will mich noch über Risiken und Nebenwirkungen der OP aufklären, aber ich lehne dankend ab und unterschreibe. Denke, das werden die schon hinkriegen, zumal das der erste Schritt für die einzige Chance ist.

Nun präsentiert mir die Schwester die Suite, nachdem wir gemeinsam zahlreiche Formulare ausgefüllt hatten. Als die Tür zum Patientenzimmer aufgeht, werden mir die Knie weich. Zwei Jungs, deutlich jünger als ich, beide ohne Haare, liegen neben Ihren rollbaren Schirmständern, bespickt mit je drei oder vier Infusionsautomaten. Ich sehe nur ein Wirrwarr von Schläuchen, Kabeln, Geräten und denke darüber nach umzudrehen. Aber die beiden Jungs kommen mir zuvor und fragen mich erst mal nach meiner Krankheit: Ach, ich hab bloss Hodenkrebs. Bei der Antwort sind mir dann wirklich beinahe die Knie weggesackt: Wir auch. Wenige Minuten später gehen wir zu dritt mit den zwei Schirmständern zum Aufzug, Erdgeschoss, Aussenbereich und rauchen eine zusammen. Die beiden sind mir in der Therapie ein paar Wochen voraus, geben mir wertvolle Hinweise und Informationen und nehmen viele Ängste. Allein das Gefühl, nicht allein zu sein mit seiner Krankheit, hilft unendlich.

Ok, man kann auch ne Chemo überleben. Aber erst mal muss ich die OP hinter mich bringen. Abends mehrere Hinweise verschiedener Schwestern und Pfleger: Letzte Kippe bis 22:00 Uhr, Letztes Essen ist das Abendessen, ab 22:00 Uhr nix mehr trinken. Also, auf gehts. Kurz vor zehn noch 5 Kippen hintereinander, etwa zwei Liter Wasser hinterher, anschließend das tolle Angebot der Schwester, die erste Schlaftablette im Leben. Wieso bin ich plötzlich nicht mehr nervös? Das alles hier ist nun normal, es geht seinen Gang, es passiert etwas. Alles ist einfacher als die letzten Tage im Sumpf. Als ich die Augen am nächsten Morgen öffne, wirft der Pfleger mir Trombosesocken, OP-Hemd und Scheiss-Egal-Pille hin und verabschiedet sich mit den Worten: Sehen Sie zu, dass Sie in ein paar Minuten abholbereit sind. Ich handel zwei Extraminuten raus, um ein letztes Mal zu duschen. Wenig später hat die Pille gewirkt. Es ist mir nichts egal, aber ich spüre keinerlei Aufregung, obwohl meine erste Vollnarkose kurz bevorsteht.

Im Vorbereitungsraum überlege ich noch mal, ob ich noch einen Hinweis mit dem Edding auf dem Bauch hinterlassen soll, damit nicht versehentlich ein Arm amputiert wird, aber dann geht alles zu schnell. Venenzugang in den Handrücken, weiter zum Anästesisten. Die Ärztin fragt mich noch mal, was sie ausbauen soll und wirft eine warme Decke auf mich, der Anästesist stellt sich vor und fragt nach meinen Wünschen. Ich begreife und ordere eine Kiste Krombacher. Er bemerkt, dass es nun etwas kühl im Arm werden wird, drückt die Spritze in den Zugang und wünscht viel Spass mit der Kiste auf ex. Ich muss lachen. Er ist großzügig und ich wünsche mir noch ne halbe Flache Cognac, die postwendend per Spritze kommt. Auf sein Nachfragen fällt mir erst mal nichts mehr ein und ich höre mich noch sagen: Glaub das reicht, muss überlegen. Gemerkt hab ich bis zu diesem Zeitpunkt absolut nichts, aber das waren meine letzten Worte. Ich hab nicht mal bemerkt, dass ich beginne wegzutreten, da kam nur ein schlagartiger Filmriss, so schlagartig, dass ich ihn nicht bemerkt habe. Die nächsten Worte waren: Haben Sie Schmerzen? Möchten Sie ein Schmerzmittel? Auf mein: etwas Schmerzen, vielleicht ein wenig später erhielt ich die Antwort: Alles klar, is drin. Ich fühlte mich hellwach und dachte dran, nach dem nächsten Atemzug aufzustehen. Offensichtlich hab ich die Augen nochmal geschlossen und als ich sie wieder öffnete, lag ich im Zimmer. Über mir eine Infusion, die die Schwester mir auf Nachfragen damit erklärte, dass ich ja seit gestern abend nichts mehr getrunken habe. Ok, aber so langsam, wie das tropft, kann ich heute keine mehr rauchen, dachte ich und bewegte den Dosierhebel zum Anschlag. Der Arm wurde eiskalt, aber die erste Zigarette rückte deutlich näher.

Als die Schwester nach ein paar Minuten die leere Flasche endlich abmontierte, warf ich ein, dass ich mal kurz aufstehen müsste, um zum Klo zu gehen. Sie wank ab und brachte mir ne Urinflasche. Ich tat was sie wollte und versuchte anschließend auf die Füße zu kommen. Da die Schwester mich von der Idee nicht abbringen konnte, gab sie auf und verließ das Zimmer mit den Worten: Ich hab jetzt keine Zeit, Laufübungen mit Ihnen zu machen. Warten Sie bis morgen nachmittag. Später las ich auf dem Protokollblatt: Patient darauf hingewiesen, dass er noch nicht aufstehen darf. Als die Schwester sich nach einer halben Stunde sicherheitshalber nach meinen Laufversuchen erkundigte, konnte ich vermelden, dass ich bereits auf dem Klo und am Waschbecken war. Mir war allerdings überhaupt nicht wohl dabei. Ich habe vorher auf der Bettkante ordentlich die Unterschenkel bewegt, damit der Kreislauf wenigstens etwas in Gang kam.

Aber ich hatte den Ehrgeiz, meine 15 – 20 Jahre jüngeren Bettnachbarn zu übertrumpfen, die wohl nach Ihren OPs geduldig bis zum Abend des nächsten Tages gewartet hatten mit dem Aufstehen.

Also unternahm ich etwa eine Stunde später den Anlauf für die erste Zigarette und schwang mich aus dem Bett. In zentimetergroßen vorsichtigen Trippelschritten bewegte ich mich, beide Hände fest an den Haltestangen an den Wänden, in Richtung Treppenhaus. Die Hürde Türe war geschafft, doch die Treppe flößte mir plötzlich gehörigen Respekt ein. Ich klammerte meine Hände noch fester in das Geländer und bewegte meine Füße vorsichtig Stufe für Stufe zwei Stockwerke tiefer. Beim ersten Zug an der Zigarette war ich mir nicht sicher, ob das eine gute Idee war, aber an der frischen Luft ging es bald immer besser. Der Aufstieg war die letzte Herausforderung, aber das Ziel war ja bereits unten erreicht. Es blieb die letzte Zigarette an diesem Abend. Nach der Schlaftablette war der Tag gelaufen.

Eine Kniebeuge mit geradem Rücken ging problemlos, Laufen und Stehen war für einige Minuten auch ok. Ebenso das Liegen. Problem waren die Wechsel zwischen Liegen und Stehen. Die Hauptaufgabe der nächsten Tage war nun, einen geschickten Weg aus dem Bett zu finden, bei dem die Wundschmerzen erträglich waren, anschließend vor dem Hinlegen im richtigen Timing das Schmerzmittel zu holen und Wasserholen und -lassen in den aufrechten Phasen mit erledigt zu haben. Als ich die schmerzfreieste Technik, das Bett zu betreten und zu verlassen dem Pfleger demonstrierte, konnte der sich vor Lachen kaum halten.

Gemeinsam mit den Zimmergenossen gehen wir ab und zu vor die Tür, tanken etwas Normalität an der frischen Luft. Ein Horror vor dem Krankenhaus war, mir Lebens- und Krankheitsgeschichten von anderen Patienten anhören zu müssen. Inzwischen quatsche ich jeden an, der neben einem Aschenbecher steht und tausche Krankheitsgeschichten aus. Das eigene Schicksal relativiert sich plötzlich und diese Gespräche ersetzen für mich jede professionelle psychologische Hilfe, die man in der Situation vielleicht gebrauchen könnte.

30 Gramm leichter

Eine Woche später ist die OP weit weg, inzwischen kann ich schon eine Stunde fast schmerzfrei sitzen. Beim Husten oder Niessen tut es nicht mehr weh, es geht bergauf. Aber der Tag der nächsten Krankenhauseinweisung naht. Die Gedanken kreisen um den Einbau des Venenkatheders und wie es sich anfühlen wird im Magen, wenn die ersten Tropfen Gift im Körper ankommen. Wenn die erste Chemowoche überstanden ist, wie werden die nächsten zwei Zyklen werden? Werde ich mich in einem Jahr immer noch so beschissen fühlen zwischen den Ohren? Dabei kann ich nicht klagen, eigentlich fehlt mir ja nichts. Obwohl, als der Urologe zu meiner Bitte um eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bemerkte, in der Woche zwischen Diagnose und OP war ich ja eigentlich arbeitsfähig, da fiel mir spontan Oi Zuki Schodan ein (grader Fauststoß auf Kinn oder Nase mit Hüfteinsatz und dem Ziel Wirbelsäule).

Auf Anraten eines Zimmergenossen besuche ich noch mal meine Zahnärztin, da eine Plombe etwas kälteempfindlich ist und interviewe sie bezüglich der zu erwartenden Veränderungen im Mundraum. Sie gibt ein paar Tips wie Mundspülungen, Flourgel, weiche Zahnbürsten. Schadlos, so ihr Resüme, werden Mund und Zähne wahrscheinlich aber nicht aus der Nummer rauskommen.

Die Wartezeit zwischen OP und und erster Chemo wird langsam unerträglich. Manches Mal beginnt mein Frühstück mit einer Flasche Bier. Am Sonntag vor der Einweisung zur ersten Chemorunde haben wir Besuch und können noch einmal bei schönem Wetter grillen. Die Henkersmalzeit.

Chemo mit Pudding

Montag morgen heisst es früh im Krankenhaus zu erscheinen. Die Anmeldung ist inzwischenRoutine, einen kurzen Moment warten, es folgen Blutabnahme und Wundkontrolle. Dann gibtsMittagessen und das Warten auf das Legen des zentralen Venenkatheders beginnt. Immerhin, dieBotschaft, dass die erste Chemo erst am Folgetag laufen wird, läßt mich etwas leichter durchatmen.Am Nachmittag wird mein Zimmernachbar, der die dritte Chemorunde antritt, im Bett zurIntensivstation gefahren und kommt nach zwei Stunden wieder mit einem Katheter versehen. Daswar mir so nicht klar und bevor ich lange drüber nachdenken kann, werde ich abgeholt. In einemRaum auf der Intensivstation angekommen blicke ich auf eine Warnweste mit der Aufschrift „KO-Arzt“. Was immer das bedeutet, mir wird mulmig. Ein Arzt erscheint, erklärt mir die nun folgendeProzedur und warnt mich vor der Spritze mit der örtlichen Betäubung, die ziemlich schmerzhaftwerden könnte. Sie war erträglich und ich bemerkte nur, deswegen hätte er keinen solchen Windmachen müssen. Dummerweise war bei den nachfolgenden Arbeitsschritten von der Spritze nichtsmehr zu spüren. Beim nächsten stechenden Schmerz zuckte ich etwas zu viel, was dazu führte, dassdie Prozedur wiederholt werden musste, da der Schlauch dabei wieder rausgerutscht ist. Nach einergefühlten halben Stunde werde ich verabschiedet mit den Worten: Das wars, passen Sie auf, dassSie sich den Zugang nicht rausreissen, sonst müssen wir das wiederholen und empfehlen Sie unsgerne weiter.

Anschließend gings noch kurz zum Röntgen, um zu prüfen, ob das Kathederende am Herzen undnicht im Gehirn angekommen ist. Alles ok, zurück ins Zimmer, wo dann die Maschinerie bestehendaus einem rollbarer Schirmständer mit 3 Infusionsautomaten für mich bereit stand, angeschlossenwurde und mich die folgenden 5 Tage rund um die Uhr begleitete.

Meine größte Angst war einzuschlafen und dabei den Zugang herauszuziehen, der nur leicht vernähtund mit einem kurzen Klebebandstreifen gesichert war. Als erste Maßnahme legte ich den Schlauchin mehreren knickfreien Windungen durch den Rand meiner Unterhose und prüfte, ob ein Zug vonaussen tatsächlich dadurch abgefangen werden konnte. Der Nachtpfleger hatte endlich Verständnisfür meine Angst und sicherte den Schlauch noch mit ein paar stabilen Klebebändern. Am ersten Tagschmerzt die Einstichstelle bei jeder Schulterbewegung und der Brustraum brannte.

So, der nächste Schritt war getan, die Bewegung mit dem Schirmständer durch dieKrankenhausflure, Aufzüge hinaus an die frische Luft für ein oder zwei Zigaretten wurde von Malzu Mal selbstverständlicher. Die Zigarette vor der Tür war Normalität für einen kurzen Augenblickebenso wie das Laufen an sich. Vor dem Mittagessen bringt die Schwester die erste gefährlichaussehende Flasche und befestigt diese am Schirmständer. Mir wird ganz mulmig. Keine Angst: Istder Vorlauf mit der Magenberuhigung. Die Chemo kommt dannach, jetzt kommt erst mal dasMittagessen.

Beim Nachtisch wurde es dann ernst. Ich spürte, wie der Schlauch, der über meinen Bauch verlief,langsam kühl wurde und wartete auf den ersten Brechreiz. Eingeredete Angst macht etwas Übelkeit,das war aber der einzige Grund.

Nach ein paar Minuten verspüre ich ein Kribbeln in den Füßen. Ob dies nach so kurzer Zeittatsächlich an der nerventoxischen Wirkung des Cisplatin liegen kann, darüber denke ich in diesemAugenblick nicht nach. Jedenfalls gewöhne ich mir an, nun vor, während und nach denChemogängen Gymnastik mit Füßen, Zehen, Beinen, Armen, Händen und Fingern zu machen, umden Nerven Anreize zu verschaffen und sie zum Durchhalten zu animieren.

Der Venenkatheder wird übrigens Richtung Herz geschoben, da dort die Venen dicker und dieFließgeschwindigkeit höher ist. In einer dünnen Armvene wäre die Vene nach kurzer Zeit aufgelöst.Das was im Körper helfen soll, kann auf der Haut üble Verätzungen verursachen. Daher werden dieInfusionsbeutel auch mit Schutzhandschuhen gehandelt. Das flößt Respekt ein, mit der Zeitgewöhnt man sich aber an alles.

Immerhin, die erste Chemo ist drin, das Mittagessen auch noch, die Spülung läuft und ich stehevorsichtig auf, um vor der Tür eine zu rauchen. Toll, es klappt, etwas wackelig in den Knien, wobeiich nicht weiss, ob wegen der Chemo oder der Angst. Wenig später gleich die nächste Dosis, dienächste Kippe, die nächste Spülung und die abschließende Spritze mit dem dritten Gift im Bunde.Zu den etwa zwei Litern, die man so normalerweise täglich trinkt, kommen per Infusionen nochetwa 4 Liter hinzu. Nach der letzten Zigarette an diesem Tage glaube ich zum ersten mal dran, dasdurchstehen zu können. Irgendwie vertragen sich Fischfilet, Pudding und Cisplatin dochüberraschend gut miteinander.

Samstag abend, tagsüber waren etwa 30 °C, sitzen wir gemeinsam draussen auf der Bank untereinem Sonnenschirm, den Aschenbecher zwischen uns, die Schirmständer etwas aus demBlickwinkel geschoben. Ein Gefühl, wie an der Uferpromenade in Nizza. Ich überschlage dieStunden, die der Schlauch noch in mir steckt und ich denke an die nächste Nacht, in der ichvermutlich nicht schlafen kann, weil ich ständig panisch nach dem Schlauch suchen werde.

Infusionsautomaten sorgen dafür, dass die Lösungen in definierter konstanter Dosierung ins Blutgelangen. Allerdings sind deren Akkus so dimsioniert, dass man damit nicht mehrmals am Tag ohneSteckdose auskommt. Wenn der Akku leer ist, arbeitet die Schlauchpumpe nicht mehr und eströpfelt nichts mehr ins Blut. Bei den letzten Infusionen geht es aber im Wesentlichen nur nochdarum, dass die Giftkonzentration im Blut gesenkt wird, damit die Nieren geschont werden. Alsoverlängere ich meine abendlichen Aufenthalte an der frischen Luft dadurch, dass ich den Schlauchan der Pumpstelle das Automaten aushänge und die Tropffrequenz mit dem Handdosierer grobselber einstelle.

Beim Durchatmen bemerkte ich in den letzten Tagen zunehmend leichte Schmerzen in denLungenspitzen und den Bronchen. Ich bemühte mich, so oft ich daran dachte, möglichst tief gegenden Schmerz durchzuatmen, was auch sehr gut half. Die Schmerzen wurden deutlich weniger. Icherklärte mir das Phänomen damit, dass ich trotz der ständigen Raucherpausen ja die meiste Zeit desTages mit flacher Atmung auf dem Bett verbracht hatte. Später klärte mich die Ärztin auf, dass daseben auch mit der Chemo zusammenhängt.

Am Sonntag, dem potenziellen Entlassungstag, kommt die Ärtzin bereits kurz vor sieben, um dasBlut abzunehmen. Erst nach positiven Untersuchungsergebnissen wird sie mich vom Schlauchbefreien lassen und in die kurze Freiheit entlassen.

Das erste Bier

Alles geht gut und am späten Vormittag teste ich zu Hause, was mein Magen zu einem Schluck Bier sagt. Im Zeitalter von Facebook würde man klicken: Gefällt mir. Auch die folgenden Schlucke kommen wohlbehalten an und der Grill wird angezündet. Mir war bisher nicht bewusst, welche Mengen Kartoffelsalat und Würsten in meinen Magen passen, ich wusste auch nicht warum ich das tat, ich hatte im Krankenhaus immer genug zu essen bekommen und das Essen war ausnahmslos ausgezeichnet.

Der Wehrmutstropfen war der anschließende Blick auf die Waage. Seit dem letzten Abend hatten sich etwa 3 Kg Wasser eingelagert. Im Krankenhaus gab es daraufhin immer eine Portion Lasix zur Entwässerung, zu Hause musste ich nun sehen. Das Problem erledigte sich aber über Nacht. Alle 2 Stunden zur Toilette und am nächsten Morgen war das Gewicht wieder fast ok und die Knöchel meiner Hände waren wieder sichtbar. Von Sonntag mittag bis Dienstag verlor ich 6 Kg eingelagertes Wasser.

Die erste Autofahrt seit Tagen führte zum Urologen zwecks Einholen der nächsten Überweisungen. Praxis und Parkplatz waren durch einen wenige hundert Meter langen steilen Anstieg getrennt und ich war sehr froh und rang nach Luft, als ich wieder am Lenker saß. Morgen kommt dann die ambulante Chemospritze. Bisher weiss ich davon, dass einige Menschen davon ziemlich umgehauen werden. Wir werden sehen, sicherheitshalber fahre ich da nicht alleine hin.

Über Wirkungsweise und Nebenwirkungen der Chemotherapie erfuhr ich von ärtztlicher Seite erstaunlich wenig bis keine Aufklärung. Ich wusste nur, dass es ein Vorlaufkombinationspräparat gibt, das dafür sorgt, dass das Gehirn den Magen nicht zum Umstülpen auffordert, dass es Aufbaupräparate für die Magen und Darmschleimhäute gibt und hin und wieder Mineralien zugeführt werden. Nachdem ich nun die eigentlichen Chemowirkstoffe und deren Nebenwirkungen per Google und Wikipedia recherchiert habe, weiss ich warum die sich etwas bedeckt halten. Wer es nicht lassen kann: Cisplatin, Etoposid und Bleomycin. Wenn ich in den Mund schaue, blicke ich in das grauweisse aufgedunsene Wangeninnere. Aber Glück gehabt, keine offenen Stellen, keine Schmerzen, keine Blasen. Der Hintern ist auch schon etwas wund, obwohl ich immer nach dem Toilettengang gründlich geduscht habe.

Der Kick zwischendurch – Bleomycin

Heute erhalte ich, acht Tage nach Beginn des Chemozyklus, eine Bleomycinspritze in der Ambulanz. Die ehemaligen Zimmergenossen hatten mich vor Nebenwirkungen wie starker Mattheit und Abgeschlagenheit gewarnt, der Arzt versichert mir jedoch, dass die Spritze sehr gut verträglich sei. Das Rauchen soll ich allerdings deutlich reduzieren, da das Antibiotika lungentoxisch ist. Ich vertraue ihm einfach mal, was die Nebenwirkungsfreiheit angeht, warte die nachfolgende 500 ml Spülinfusion ab und werde von meiner Frau nach Hause chauffiert. Stunden später bemerke ich noch keinerlei Nebenwirkung. Nachmittags setzt dann ein heftiges Brennen im Brustraum ein, das Speiseröhre und Lunge erfasst. Es heisst erst mal hinlegen und abwarten. Die Schmerzen werden nach ein paar Minuten erträglich und verschwinden zum Abend fast vollständig. Google hatte wohl Recht, was die Halbwertzeit des Bleomycin angeht. Das alkoholfreie Bier am Abend schmeckt interessanterweise deutlich besser als ein normales Bier. Vielleicht liegt es daran, dass es etwas süsser ist. Kurz vor Mitternacht schalte ich den Rechner aus und gehe ins Bett. Verhältnismäßig spät im Gegensatz zu den letzten Tagen.

Den nächsten Morgen beginne ich mit etwas, was ich in den letzten Jahrzehnten selbst in guten Hotels links liegen ließ und erst im Krankenhaus zu schätzen gelernt habe: Frühstück. In den letzten 30 Jahren bestand mein Frühstück aus einem Kaffee und 2 Zigaretten. Eine geschlagene halbe Stunde verbringe ich mit Ei, Obst, Toast, Kaffe und Joghurt. Den Rest des Tages bin ich wieder im Büro. Als ich hochkomme, schlafen die Kinder längst, ich musste heute keine Liegepause einlegen, lediglich beim Bücken werde ich an meine Krankheit erinnert, da kommt der Bleomycinkater, was sich etwa so anfühlt, als ob Magensäure langsam die Lunge flutet. Zwischendurch habe ich in unbeobachteten Momenten hin und wieder ganz locker ein paar Karatetechniken und Dehnübungen ausprobiert.

Einen Tag später bin ich wieder früh im Büro und belade mit einem Kollegen gemeinsam dessen Auto. Anschließend schaue ich, ob ich bei meinen Spagatdehnübung noch so tief komme, wie vor Wochen. Ich bin zufrieden mit dem Ergebnis. Der Tag fängt gut an, ich spüre zwar noch leichte Nachwehen des Bleomycin, aber ich fühle mich sehr gut.

Am Wochenende tritt dann ein paar mal leichte Übelkeit auf, verschwindet aber immer dann, wenn ich Ablenkung finde.

Dienstag folgt dann die zweite Bleomycin Spritze. Diesmal fahre ich allein mit dem Auto zum Krankenhaus. Während der Doc die Spritze reindrückt, beschreibe ich ihm das Brennen in Speiseröhre und Lunge, mit dem ich nun wieder zwei Tage Spass haben werde. Er meint, das sei normal, weist mich aber noch mal drauf hin, dass die Magentabletten auch in den Pausen wichtig seien. Dachte, wir haben aneinander vorbeigeredet, schließlich brannte meine Lunge, nicht der Magen. Egal, zu Hause werfe ich zwei Tabletten ein, die ich in den letzten Tagen nur noch sporadisch genommen hatte und warte vergeblich auf das Brennen. Wieder was gelernt: Der Magen sitzt höher als vermutet.

Nun folgt ein Besuch beim Hautarzt. Mit großem Glück hatte ich gestern einen Termin für heute Nachmittag bekommen, nachdem ich auf die dunkle knotige Veränderung an der Unterlippe hingewiesen hatte. Inzwischen bin ich vorsichtig und entwickle mich zum Hypochonder. Auch dieses Mal lieferte Google zuvor nur Hinweise auf ein Lippenkarzinom. Der Dermatologe war wesentlich netter, als der Urologe: Deswegen sind Sie hier? Das ist definitiv nur eine geplatzte Ader. Waren Sie in letzter Zeit beim Zahnarzt und kann es sein, dass der mit seinen Instrumenten stark auf die Lippe gedrückt hat, so sein Erklärungsversuch. Klar, das war so. Der hintere Backenzahn ist am besten zu bearbeiten, wenn man die Werkzeuge auf die Unterlippe setzt und dann hebelt. Puh, jetzt wird bestimmt auch alles andere gut. Und schon wieder ne Zigarette auf die frohe Botschaft und auch dabei kam das Brennen nicht.

Das mit den Zigaretten muss ich langsam in Angriff nehmen. Warum hat der Doc mir nicht vor der Chemo nicht gesagt: Wenn Sie rauchen während der Chemo, krepieren Sie sofort? Na ja, zwei Versuche habe ich ja noch, dannach wird es deutlich schwieriger werden.

Zahnschmerzen zur Abwechselung

Es ist Samstag vormittag, am folgenden Montag gehts zum zweiten Zyklus. Müdigkeit überkommt mich und ich lege mich mittags für zwei Stunden ins Bett. Als ich aufwache, habe ich Zahnschmerzen im gesamten rechten Kiefer. Ich kann den Kopf nicht drehen, heben, den Mund nur wenig öffen, nicht schließen. Aber glücklicherweise gibt es spät nachmittags einen Notdienst. Der Zahnarzt kann nichts feststellen, das Röntgengerät ist defekt, er tippt auf den Weisheitszahnn und verschreibt, um überhaupt irgendwas zu machen und weil das Zahnfleich insgesamt entzündet ist, Penicillin. Kurze telefonische Rückversicherung im Krankenhaus, ob sich die Chemie mit der Chemo verträgt und rein damit. Es folgt eine nahezu schlaffreie Nacht, in der ich bei jedem Schlucken den Schmerzschrei unterdrücken muss, aber am nächsten Morgen wirkt es endlich. Insgesamt aber ein Glücksfall, denn bis zum Ende des folgenden Chemozyklus ist der Zustand im Mund wieder so richtig gut, das Zahnfleisch fühlt sich gesund an.

Reifenpanne

Montag morgen, Antritt zur zweiten Chemorunde, das Warten auf den Venenkatheder beginnt. Diesmal bekomme ich gleich zwei Spritzen zur örtlichen Betäubung. Es tut dennoch recht weh beim Einstechen und ich zucke wohl etwas zu viel. Der Anästesist murmelt etwas von Pneu und dass das Kontrollröntgen erst in einer halben Stunde erfolgen soll, damit dabei gleich die Lunge gecheckt werden kann. Ich bemerke heftiges Stechen im linken Lungenflügel und frage den Doc, ob er versehentlich eine Drahtbürste in der Lunge vergessen hat. Nein, das wäre normal. Ist es nicht, letztes mal hat es dort nicht weg getan. Egal, ich warte das Röntgen ab und nutze den Weg vom Röntgen zur Station für zwei Zigaretten, bevor ich wieder mit dem Schirmständer verbunden werde. Zurück auf der Station sehen mich zwei Ärzte an, als ob ich ein Geist wäre. Sofort ins Bett und zurück zur Intensivstation lautet das Kommando. Mit dem Katheder stimmt was nicht. Dabei hatte man mir beim Röntgen doch versichert, er liegt richtig. Der Anästesist ist etwas aufgelöst und das macht mich nun doch etwas nervös. Was ist los, wie ist der Plan, lautet meine Frage. Also: linker Lungenflügel fällt ein, kein Problem, da muss eine Dränage seitlich durch die Rippen zwischen Rippenfell und Lungenfell, um die Luft abzusaugen, damit die Lunge sich wieder entfalten kann. Die Lunge wird sich dann hoffnungsweise binnen ein bis zwei Tagen selber abdichten, ansonsten folgt eine kleine OP. Ich will nicht noch ein Loch, aber der Doc versichert mir, dass er mir was Feines gibt, mit dem ich absolut nichts davon merken werde. Er will mir das Aufklärungsblatt vorlesen und ich frage mich, ob er sie noch noch alle hat. Fangen Sie an, bevor der Flügel nur noch Matsche ist. Die nachfolgende Chemie ist genial und eine Stunde später befinde ich mich wieder auf dem Weg auf die Station, ausgestattet mit einem blubbernden Unterdruckgerät, das aussieht, wie ein selbstgebauter Physikexperimentaufbau aus meiner frühen Schulzeit. Als ich mit meiner Frau telefoniere, lässt die Wirkung der Drogen langsam nach und ich kann gegen die Schmerzen bei jedem Atemzug nur gefühlte hundert Milliliter Luft austauschen. Langsam kommt etwas Panik in mir auf und ein Pfleger erkundigt sich nach meinem Zustand: Nicht so besonders. Wenige Sekunden später bestätige ich dies dem Arzt, der mich sofort auf die Intensivstation zurückfahren lässt. An der Tür zur Intensivstation ist die Panik weg, hier werden Sie geholfen. Ich werde erst mal intensivmedizinisch verkabelt mit EKG, Sauerstoffmessung, automatischer Blutdruckmessung und erhalte eine Schmerztherapie in Form fantastischer Drogen. Es gibt keine Klingel, sämtliche Messwerte laufen an einem Überwachungsplatz zusammen und führen im Fall, dass etwas aus dem Ruder läuft, zu Alarmierungen. Dennoch habe ich nie das Gefühl allein zu sein, ständig ist irgendwo ein Pfeger oder Arzt in der Nähe. Als erste Maßnahme baut er einen Fernseher vor meinem Bett auf, damit ich nicht auf die weisse Decke starren muss. Hey, das ist sehr nett, aber mir gehts jetzt gut, ich kann damit leben für zwei Tage die Decke zu betrachten. Alles gut! Auf der Intensivstation arbeitet ein in jeder Hinsicht fantastisches Team. Es gibt keine Unterschiede in der Kleidung zwischen Ärzten und Pflegern und man erkennt als Laie den Unterschied erst dann, wenn dieser sich entsprechend vorgestellt hat. Besser kann man nicht versorgt werden, das hier ist first class Medizin.

Nach einem Tag wird die Pumpe abgestellt und am nächsten Morgen folgt eine Röntgenuntersuchung, ob die Lunge noch immer vollständig entfaltet ist. Der Dränageschlauch wird gezogen und auf der Station beginnt die zweite Chemorunde mit zwei Tagen Verzögerung. Erstaunlicherweise vertrage ich diese Runde besser als die erste. Zum einen ist das Zahnfleisch mit Penizillin geschützt, zum zweiten habe ich festgestellt, dass die leichte Übelkeit unmittelbar vor der Chemogabe vom Antibrechmittel kommt und sich durch eine zusätzliche Magenschutztablette vollständig unterdrücken lässt. Mit dieser Erkenntnis erhalte ich nun Vormittags eine Extraration Pantozol.

Balsam für die Psyche

Trotz meiner Vorurteile nehme ich das Angebot für ein Gespräch über eine Anschlussheilbehandlung an, um mir mal anzuhören, ob das vielleicht doch hilfreich sein könnte. Klappt nicht, mein Eindruck bestätigt sich: mal Abstand bekommen, etwas leichte Bewegung, Erholung, viel Freizeit. Dennoch hilft mir das Gespräch mit der Sozialpädagogin sehr, da sie andere interessante Aspekte anspricht. Zum Beispiel, dass Gesprächspartner hilfreich sind, die einen verstehen – Betroffene oder Profis. Oder dass Freunde und Bekannte irgendwann nichts mehr davon hören wollen oder können und sich abwenden. Wenn ich drüber nachdenke, kann ich das sehr gut nachvollziehen, wäre aber nie selbst drauf gekommen. Zu guter letzt empfiehlt sie mir ein Gespräch mit dem Onkopsychologen. Ich nehme dankend an.

Der Psychologe kommt gleich am nächsten Tag. Ich verspreche mir nichts davon, ich habe aber auch nichts zu verlieren, weiss dass ich das Gespräch jederzeit abbrechen kann, wenns mir zu bunt wird und bin eher gespannt, wie der so von der Gesprächsführung vorgeht und ob ich seine Psychotricks durchschaue. Vorab: Ich habe keinen Trick erkannt. Er hat wenige Dinge mit kurzen einfachen, klaren Fragen hinterfragt, auf den Punkt gebracht und das Gespräch dadurch sehr lebendig gehalten. Hier wurde mir der Großteil der Redezeit zugestanden, völlig anders als im Arzt – Patienten Gespräch. Wichtig war mir, über meine Befürchtungen über die Ängste nach der Therapie zu sprechen und vom Profi mal zu hören, wie sich der künftige Angstpegel so über die Zeit verhält. Er gab mir eine entsprechende Rückmeldung, wo ich so stehe und was in Zukunft in meinem Kopf voraussichtlich passieren wird. Die Stunde verging wie im Flug, wir verabredeten uns für den nächsten Chemozyklus und als wir uns verabschiedet hatten, verließ ich den Raum mit einem leicht positiven Gefühl.

Auch solche Medizin muss erst wirken. Im Krankenhaus war ich bisher nie niedergeschlagen, aber auch Tage nach dem Gespräch hatte ich noch ausgesprochen gute Laune, fühlte mich sehr gut und hätte zumindest gedanklich Bäume ausreissen können. Ich bin ausserordentlich dankbar für den Termin und freue mich auf den nächsten.

Agsaffal – häh?

Donnsterstag steht wieder die erste ambulante Bleo Spritze an. Mir ist etwas schlapp und ist lasse mich vor meiner Frau chauffieren. An nächsten Morgen muss ich zur Toilette und hole zuvor noch schnell die Zeitung aus dem Briefkasten. Als ich den Briefkastenschlüssel an den Kaken hängen will, fällt der ruter. Ich finde ihn nicht, mir wird schwindelig und ich gebe auf. Auf der Toilette wird es etwas besser, aber Sekunden später kann ich mich nicht aufrecht halten. Ich hebe die Arme, lasse mich nach rechts sacken und lande auf den Fussboden. Mein Großer, der sich gerade die Zähne putzt, muss das mit ansehen und er holt Hilfe. Meine Frau kommt und glaubt an einen üblen Scherz von mir. Ich kann mich aber nicht verständeingen, ich bringe kein Wort raus. Aufstehen geht auch nicht und ich höre wie mein Kleiner meiner Frau die Notfallnummer zuruft. Als meine Frau telefoniert halte ich das meineseits für einen schlechten Scherz. Ich werd mich jetzt zusammen nehmen und aufstehen. Keine zehn Minuten später wimmelt es von Rettungssaitätern und einem Notarzt in Badezimmer und Diele. Scheisse, ich kann mich nicht wehren, ich kann Arme und Beine nicht wirklich bewegen und ich bringe keinen Laut raus. Eine gefühlte halbe Stunde später erkenne ich die OP Schleuse und den Ansästesisten wieder, der mir den ersten ZVK gelegt hat. Aber so ganz bekomme ich nicht mehr alles mit. In den linken Arm erhalte ich durch einen Zugang ein schrecklich brennendes Zeugs, worauf hin ich die Hand des Anästesisten fasse, damit seine Gasmaske meine Nase vollständig umschlisset, auf das ich schneller weg bin. Es fällt mir nicht auf, dabei meinen rechten Arm bewege, vielleich träume ich das aber nur. Das nächste, an das ich mich erinnern kann ist, dass ein Arzt sich mir inmitten von Röntgengeräten vorstellt als derjenige der mich per Angiografie und Katheder operiert hat – Lysetherapie. Er erkundigt sich, ob ihn verstehe. Hurra, ich kann wieder sprechen, aber das klang völlig anders als das was ich sagen wollte. Noch ein Versuch. Klappt auch nicht. Der Arzt bittet mich zu nicken falls ich ihm verstehe. Gott sei Dank, nicken klappt. Dann geht es ans Umbetten und anschliesend zum MRT. Ein mulmiges Gefühl, so mit nem Drahtkäfig einen gefühlen halben Kilometer in die Röhre geschoben zu werdem. Trotz Ohrenschutz ist es schiemlich laut hier, aber nach etwa zehn Minuten werde ich befreit. Als ich das nächste mal die Augen öffne, liege ich auf der Überwachungsstation der Neurgologie, einer sogenannten stroke unit. Ich bin nun ein Schlaganfallpatient, verkabeld mit einem EKG, einer Blutsauerstoffmessung und einem Blutdruckmessgerät. Alles Dinge, mit denen man keinen Schlaganfallrückfall bemerkt. Also werde ich in der folgenden zwei Tagen auf der stroke unit regelmäßing geweckt, um zu sehen, ob ich meine Arme und Beine noch bewegen kann. Die Schwester erlärt mir, das ich mein rechtes Bein bis zum nächsten Morgen nicht bewegen darf, erzählt mir aber nicht warum. Ich vermute, dass sie während der OP durch die Beinvene zum Kopf vorgedrungen sind und mache endsprechende Gestiken. Die Schwester begreift und bejaht.

Meine Frau steht plötzlich bei mir und ich versuche erneut etwas zu sagen, aber sie versteht mich nicht. Ich signalisiere ihr, das ich etwas schreiben möchte, zu meinem Entsetzten geht das völlig schief. Mühsam kann ich meiner Frau verständlich machen, was ich von dem Arzt wissen möchte: Hat man bei der OP einen Stend eingesezt und muss ich jetzt lebengslänglich Makumar nehmen. Beides verneint der Doc später. Er fragt mich stattdessen ob ich gerauche habe. Ich bekomme irgendwas in der Art von „ja, rauche“ raus. Er versteht und korrigiert mich: Falsch. Sie haben geraucht. Ab heute sind Sie Nichtraucher. Ausserdem ist Rauchen unmodern. Ich kann den Doc plötzlich nicht mehr leiden. In den folgenden Tagen höre ich immer wieder seine Worte, sie haben sich eingeraben wie man es von NLP hätte vermuten können. Kein „Ich sollte mal nachdenken ob ich das Rauche etwas reduzieren könnte“, nein „Sie sind Nichtraucher“, Punkt. Und es hat geholfen.

Auf der stroke unit ist es sehr ruhig, es gibt keinen Fernseher, keine Drogen, nur weisse Wände. Die Zeit geht nicht rum. Ab und zu kommt kurz eine Schwester. Nachmal, wenn ich mich schnell genug bemerbar mache, lassen sie wenigstens die Tür auf.

Am Abend folgt dann ein zweites MRT, der Doc berichtet kurze Zeit später, dass das Gerinsel nun vollstänig aufgelöst sei. Zwei Tage später werde ich in ein normales Zimmer verlegt. Es folgen Langzeit-EKG, eine Ultraschall Doppleruntersuchung des Herzens, wobei die Ultraschallkopf unter Narkose in die S cheiseröhre geschoben wird  ( TEE, Transösophageale Echokardiographie ) und ei nen Tag später eine simple Dopplerultraschalluntersuchung der Hals- und Hirngefäße. Alles unaufällig, keiner weiss wo der Gehirninfarkt herkommt.

Ich bekomme zum Teil mehrmals täglich Blut abgenommen um die Blutverdünnung mit Herparin einzustellen und die restlichen Blutwerte zu beobachten. Als die Blutverdünnung endlich passt, wird der Herparin Perfusor abgeschaltet und ich erhalte von nun an für den Rest meines Lebens ASS und und Cholesterinsenker.

Derweil eröffnet mir der Oberarzt der Urologen, das es keine zweite Bleomycin Spritze geben wird und der dritte Chemozyklus ausgesetzt wird, bis er eine Zweitmeinung eines renommierten Profs. eingeholt hat. Schon nach wenigen Tagen beehrt mich der Urologe um mir zu verkünden, dass der Prof. geantwortet hat: Es hat einige wenige Fälle von Herzinfarkten nach der Gabe von Cisplatin gegenben, man sollte abwarten, ob zwei Chemozyklem nicht ausreichend wären. Wenn die Tumormarker in Normbereich seinen und sich die Lymknoten im Bauchraum in vier Wochen auf unter 10 mm entwickelt haben, kann man die Theraphie beenden. Ein bisschen „wait and see“ Strategie.

Die Lähmungen der Arme und Beine waren bereits am ersten Tag vollständing zurückgegangen. Der Schluckreflex kam am nächten Tag zurück. Als ich zwei Tage nach dem Schlanganfall aufstehen darf, kann ich nahezu problemlos und gleichmäßig laufen und Treppen steigen. Meine rechte Geschichtshälfte ist etwas gelämt, ich kann nicht mehr mit dem rechten Ohr wackeln und beim Lächeln bleibt die rechte Geschichtshälfte ziemlich versteinert. Egel, mir ist eh nicht zum Lächeln zumute, schlimmer ist schon dass ich keinen Augenreflex habe. Ich muss aufpassen, wenn ich mir ins Auge fasse, dass ich es zumache. Ich bin noch etwas unsicher beim Laufen und kann mich allgemein nicht richtig konzentrieren. Aber das Hauptproblem ist die Sprache. Die Logopändin ist der Meinung, dass ich großes Glück hatte und dass ich große Forschritte mache. Das sehe ich auch so, ich bin total zufrieden. Es geht jeden Tag etwas besser, und am Chat verstehen mich meine Gegenüber immer besser.

Die Logopädin bremst mich, ich kann nicht alles auf einmal haben. Ich müsste nicht gleich den Spiegel lesen. Da sagt sie was. Als die Sitzung um ist, versuche ich die website des Spiegel im Smartphone zu finden. Verdammt, wie schreibt man Spiegel? Nach zehn Minuten erfolglosen Suchens hilft die Google Sprachsteuerung, „Spiegel“ sagen kann ich einigermaßen. Im Chat frage ich jemanden „Zu bist busogen“, soll heißen „bist Du umgezogen“. Was ich mit „Auser lazt gleicht geschizt“ sagen wollte, weiss ich heute nicht mehr, damals war ich der Überzeugung, wenn man es ausspricht, kommt man ganz leicht drauf. Ich wusste immer, ob ich ein Wort richtig geschrieben hatte oder nicht. Wenn nicht, wusste ich aber nicht, wo der Fehler war. Ich konnte einfache Sätze lesen, egal wie viele Fremdwörter sie enthielten. Einfachste Schachtelsätzen verstand ich aber auch nicht, wenn ich sie mir minutenlang auf der Zunge zergehen liess. Die Logopädin bittet mich, möglichst viele Wörter, die mit „B“ beginnen zu sagen. Kein Problem: „Baum“. Noch eines? Ich weiss, es muss tausende geben, mir fällt aber grad keines ein. Die Aufgabe, Dinge aufzuzählen, die in der Gemüseabteilung eines Supermarktes zu finden sind, klappt erheblich besser. Übrigens, das erste Wort, was ich richtig aussprechen konnte war: „Scheiße“.

Ich sehe ein, dass ich noch etwas professionelle Hilfe benötige und willige ein, den Antrag auf eine Anschlussheilbehandlung zu stellen. Zehn Tage Krankenhaus sind nun um. Als ich den Entlassungsbrief endlich in den Händen halte, wird es bald dunkel. Ich fahre gleich mit dem Auto zum Getränkeshop und hole anschliessend den Großen vom Aikido ab. Am folgenden Donnerstag gehe ich zum Karate. Ich werde zufrieden sein, wenn ich das Aufwärmtrainging überlebe aber ich halte die gesamten anderthalb Studen durch. Es geht berauf!

AHB – Beschäftigungstherapie

Eine Woche später erhalte ich einen Brief, aus dem hervorgeht, das die AHB von der Rentenversicherung genehmigt sei und das ich mich wunschgemäss wenige Tage später zur ambulanten Behandlung in der nahegelegenen Klinik einfinden könnte. Eine Dame ruft mich an um einen Abholtermin zu verneinbaren. Ich möchte nicht zwei mal täglich Stadtrundfahrten machen und beschliesse mit dem eingenem Auto zu fahren, erkläre aber sicherheilshalber, dass meine Frau mich bringt.

Tag 1: Ich unterschätze den Weg und komme zehn Minuten zu spät. Helle Aufreung macht sich breit und die Ambulanzsekräterin macht sich Sorgen um den schraffen Zeitplan. Als ich ihr meine Größe und mein Gewicht sagen kann altemd sich auf, die Zeit scheint aufgeholt, sie muss mich nicht vermessen. Schon in einer halben Stunde folgt meine erste Anwendung. Moment, dannach steht eine Pause von einer guten Stunde an. Ich hatte doch die ambulante Version gebucht, um keinen Leerlauf zu haben. Die Ambunlanzsekräterin beschwichtigt mich: Im Aufenhaltsraum stehe Kaffee, Ost, Splätzchen und ein Fernseher. Fernsehen kann ich zu Hause. Im Krankenhaus waren wir uns einig, dass ich ausschließlich Logopätie brauche. Die Logopädie nimmt aber nur eine Stunde Platz ein. Der nächste Termin ist bei der Ärztin. Dort spreche ich das Missverständnis an. Ich kommen die Tageshöchdosis am Logopädie, zudem kann man sich den Rest des Tages auch um andere Dinge kümmen, so ihre lapidare Aussage. Wenn ich das gewusste hätte, hätte ich die AHB nie beantragt. Zum Farhrad fahren, Laufen und Gymastik hätte ich nicht in eine Klinik fahren müssen, das klappt mit Hausmitteln. Bei der Ärtzin erfahre ich noch, dass ich als frischgebackener Schlaganfallpatient die ersten Monate nicht Auto fahren darf, bis aus medizinischer und neuropshychologischer Sicht ein OK gegeben wird, und willige ein, mich für den Rest meines Kinikaufenhaltes vom Fahrdienst chauffieren zu lassen. Als ich das Karatetraining zur Sprache bringe, vergewissert sich die Ärztin, dass ich vor dem Schlaganfall Karate gemach habe. Nein, auch nach dem Krankenhausausenthalt. Sie schüttelt nur noch den Kopf und erklärt mir, das ich das besser nicht tue.

Es folgen einige zehnminütige Vorstellungsgeschränke. Die Ergoperateuptin erkennt, das sie nicht gebraut wird, die Physiotherpeutin sieht das genauso, will aber zumindest ein paar wenige Termine mit mir machen. Der Logopäde erklärt mir, das ich eigentlich fast kein logopädisches Problem habe, eher ein Konzentrationsproblem und ein weiterer Physiotherapeut möchten gern Ausdauertraining und Flexibilitätstraining mit mir veranstalten. Ein Arbeitspherapeut kommt vermulich in der nächsten Woche hinzu.

Ein toller Tag: Keine Auto fahren, keine Karate, warten auf der Rückfall.

Tag 2: Aufstehen 6:45 Uhr, Abholung 7:20 Uhr, Ankunft Klinik 7:50 Uhr. Erste Anwendung bereits um 9:30 Uhr. „Erste neuropsychologische Therapie“: Nette Psychologin, kurzes Begrüssen, was vespreche ich mir von der Therapie, wie ist das mit dem Autofahren, nächten Montag machen wir eine erste Untersuchung und tschüss. Um 10:00 Uhr endlich mal ne Stunde Pause. Ich bemerke gegenüber der Psychologin, dass ich wohl bald wieder anfange zu rauchen wenn das mit dem Stundenplan so weitergeht. Der Logopäde, der sich um mein Hauptproblem kümmern soll, kommt heute nicht vor. Dafür freue ich mich auf das Ausdauertraining. Ich falle fasst von Fahrrad, da dies auf 25 Watt eingestellt ist und ich in wahrsten Sinne etwas durchdrehe. Bei 80 – 100 Watt spüre ich Wiederstand und als ich mich gerade an das Trampeln gewöhnt habe, ist die halbe Stunde bereits vorbei. Der Therapeut schafft es gerade mal den acht Leuten den Blutdruck zu messen. Anschließend geht es nahtlos in gleicher Runde über in das Flexibilitätstraing. Hierbei geht es um Gymnastik, die nicht auf dem Boden sondern auf Liegen praktiziert wird. Besonders bei schwindeligen Schlaganfallpatienten ließe sich das Verletzungssrisiko durch Herunterfallen von den Liegen auf nahezu null senken, wenn man sich gleich zu Boden begeben würde. Auch diese halbe Stunde vergeht wie im Fluge. Hier erlange ich wieder etwas köperliches Selbstvertrauen. Bei dem was der Therapeut hier ans Übungen durchzieht, kann ich auch vorsichtig Karate machen. Die anschliessende Arztvisite beginnt mit einem nichtssangenden Satz und einer rhetorischen Frage: Haben Sie noch Fragen. Es ist jetzt Wochenende und alle wollen nach Hause. Trostdem erdreiste ich mich noch mal nach dem Autofahren und dem Karate zu fragen. Von medizinischer Sicht besteht keine Grund vom Fahren abzusehen, in ein paar Monaten besteht für mich kein größeres Risiko als wenn ich keinen Schlanganfall gehabt hätte. Karate kann ich machen, wenn ich das schlagartige Stoppen vermeide und auf den Puls achte. Der Puls verhält sich analog zu Blutdruck bei einem gegebenen Fitnessstand, wenn das richtig verstanden habe.

Tag 3: Nachdem ich fast alle Therapeuten in den ersten Tagen kennengelernt habe, scheint deren Therapie von nun an telepatisch zu laufen. Lediglich Fahrad fahren und Gymnastik bedarf meiner Anwesenheit. Ach ja, zur Wassergymnastik, die ich ausdrücklich nicht gebucht hatte, sollte ich heute auch für eine halbe Stunde. Wenn wenigstens die Thermapiepläne nicht erst morgens ausgehändigt würden, hätte ich zumindest eine Badehose mitbringen können. Dann hätte ich nicht vier Stunden Pause gehabt. Andersherum, wenn die Therapiepläne vorher bekannt wären, würden die meisten zu Hause bleiben, weil sich die Fahrt nicht lohnt.

Die Zahnschmerzen sind seit einigen Wochen wieder aufgetaucht und haben im Krankenhaus und den letzen Nächten immer öfter zu wenig Schlaf geführt. Heute hat die Zahnärztin einen Treffer gelandet und konnte einen verfaulten Nerv präsentieren. Ob dass mit den Zahnschmerzen zum Schlaganfall geführt hat?

Tag 4: Ich finde mich ab, was das Nichstun in der AHB angeht. Bei der Zahl der Therapeuten und der Zahl der Patienten kann da nicht mehr bei rumkommen als zwei bis drei Anwendungen je Tag. Also bringt auch eine Bescherde bei den Kostenträger vermulich nichts, zumal die die Zahlen kennen und für die meisten Patieten eine AHB / REHA eher ein Urlaub mit lästigen Anwendeungen ist. Wenn den schon keine Logopädie, dann ein richtiges Sportprogramm. Morgens werde ich eine halbe Stunde in das Laufband eingeführt. Ich interessiere mich für das Koordinationstraining auf den Wok-Schüsslen und werde gleich dazu angemeldet. Anschliessend fahre ich freiwillig eine halbe Stunde Fahrrad. Die Physchologin macht die lange versprochene Computerunstersuchung. Die Reaktion ist wie bei einem Gesunden, die Mutitaskinfängkeit ist gegenfalls ok. Das Gedächtnis macht Probeme, beim nächstem Termin will sie rauskriegen warum. Anschliesend fahre ich noch freiwillg zwangig Minuten Fahrrad. Der Therapeut macht beim abschliesseneden Flexibilitätstraining nebenbei eine wirklich gute theoretische Einführung ein Gymnastik.

Nachmittags besuche ich den Urologen. Er begrüßt sich mit der Aussage eigenlich hätte er nicht so viel von mir hören wollten. Ich hatte ihn per email auf dem Laufendem gehalten. Da mir nicht so ganz klar war, wie es um meine Tumormarker bestellt war und der Urlogoge ebenfalls nichts schriftliches in der Hande hatte, wurde noch mal Blut abgenommen. Das Krankenhaus hatte nach meiner Entlassung ein neues CT Gerät bekommen und es war klar, dass ein Termin etwas auf sich warten lassen würde. Die Arzhelferin hatte gerade die CT Verantworliche an Telefon und ergundigte sich ob im Termin im Dezember passen würen. Auf mein lautstarkes „Wenn ich dann noch lebe“ wurde daraufhin Mitte November. Der Urologe hatte auch keine bessere Idee als das Prinzip Hoffnung und die „wait and see“ Strategie und gab mir auf den Weg dass wir uns jetzt die nächsten zehn Jahre sähen bis es mit der Prostata losginge.

Tag 5: In der Klinik angekommen merke ich dass die linke Geschichtshäfte taub wird. Dennoch hole in mein Tagespensum und gehe in den Raum zu den Fahrrädern. Heute stehe Arbeitstherapie, Logopädie – was war das doch gleich – und Gymsastik auf den Programm. Als ich die ersten Runden auf den Farrhrad hinter mir habe bemerke ich die WOK Schlüsseln bzw. Kreisel. Die muss ich erst mal ausprobieren und als ich nach zehn Minuten meine Neugier befriedigt habe, spüre ich einen heftigen Muselkater in den Waden. Das ging jetzt schnell. Die taube Geschichtsläfte beunruhigt mich noch etwas, das taube Gefühle läst aber auf dem Fahrad lansam nach. Der Arbeitstherapeut macht ein ausführsiches Interview zu meinen Tätigkeiten, in den nächsten Tagen soll es dann losgehen mit der Arbeistherapie. Wo will der da anfangen: Beim Reden, Schreiben oder Autofahren?

Tag 6: Das taube Gesicht von gestern lässt mir keine Ruhe und ich rede als erstes mit der Ärztin. Sie kommt zu den Schluss, dass es sich um eine kleine spastische Aterie handelt könnte. Wenn es noch mal vorkommt wird das genauer untersucht, normal ist das keineswegs. Das nächste mal sollte ich mich besser hinlegen anstatt Fahrad zu fahren. Ansonsten fahre ich freiwillig Fahrrad und bekomme Logopädie, Arbeitstherathie und Gynmastik.

Tag 7: Ein stressiger Tag. Morgens beim Fahradfahren mache ich meine Haussaufgaben in Logopädie, danach noch eine Viertelstunde auf das Laufband und einen Kaffee im Stehen. Anschliessend eine Stunde zum Arbeitstherapeuten der mir vor Augen führt dass es mit dem Rechnen zeimlich harpert. Die Rechendefizite werden dann Thema die der Neurophsychologin. Noch ein kurzer Kaffee und folgt die Logopädie. Die Logopädin überzieht wieder etwas und ich komme schon zum dritten Mal zu spät zum Flexibilitätstrainig. Aber da die Logopädie in meinen Augen die sinnvollste aller Theraphiemassnahmen ist, macht das gar nix! Heute ist Oberarztvisite und die Ärtzin kommt noch mal auf meine Gesichtstaubheit zu sprechen. Diesmal war die rechte Gehirnhälfte betroffen und ich sollte sofort ins Krankenhaus gehen wenn da wieder was ist. „Time is brain“ so ihre Devise. Wenn die Ärtzin nicht gewesen wäre, hätte das ein richtig toller Tag werden können und ich hätte mich fast an die AHB gewöhnen können.

Rückfall?

Am Wochenende spüre ich wieder leicht was im Gesicht. Montag auf den Weg zur Klinik wird der Daumen und das Gesich taub. Die Ärtzin ist der Meinung wir hätten jetzt lang genug gewartet. Nachdem ein wenig Ratlosigkeit herrscht ob man in einem sochlen Fall erst beim Hausartzt eine Überweisung holen muss oder gleich als Notfall ins Krankenhaus geht, ruft die Ärtztin die diensthanbende Ärtzin im Krankenhaus an und ich werde zum Notfall. Der Fahrdienst befördert mich einen halbe Stunde später zum Krankenhaus. Vom Fahrer erfahre ich dass ich der dritte Notfall an diesem Morgen bin. Dann dürfte die Ärtzin ja langsam wissen, was sie tun muss. Im Krankenhaus treffe ich auf gestresste Ärzte, es geht aber ziemlich zügig und nach eine kurzen Untersuchung werde ich wieder in die MRT-Röhre geschoben. Es findet sich was in der Bildgebung und wenn es kein Artefakt ist, hatte ich wieder einen kleinen Schlaganfall. Allerdings hat das nichts mit der linken Geschichtshälfte und dem linken Daumen zu tun. Auf jeden Fall bleib ich erst mal hier und werde für einen Tag auf der stroke-unit überwacht.

Super – wird das irgendwann ein Ende haben. Werde ich irgendwann morgens wach werden ohne dass ich zunächst abweseld beide Augen prüfe und dann ganz langsam und mit Pausen aufstehe um ja nicht einen erneuten Schlag auszulösen?

Dank des Smartphones ist der eine Tag auszuhalten und ich lande anschliessend in einem Zweibettzimmer. Der Zimmergenosse ist mitte zwanzig und mir fällt ein Stein vom Herzen. Auf der Neurogolie liegt der Altersdurchnitt bei gefühlten hundert Jahren. Nicht dass ich etwas gegen ältere Mitbürger hätte, aber Fenster zu, totale Verdunkelung in der Nacht, absolute Nachtruhe so ab 20:00 Uhr und zuvor noch die Egerländer im Fersehen. Als Pfleger oder Zivi ist das ok, aber als Patient nervt das schon ziemlich. In den folgenden Tagen wechselten sich die Aussagen der Ärtze ab zwischen erneutem Schlaganfall oder eben nicht. An Freitag dann endlich Gewissheit. Der Chefarzt der Radiologen hatte in der Besprechung wohl altes und neues Bild übereinander gelegt um zu verdeutlichen, das der Schlag bereits vor vier Wochen da gar. Nachdem ich EEG, ein weiteres MRT mit Kontrastmittel für die Gefässdarstellung hinter mir hatte, wurde ich kurzerhand entlassen, nachdem ich hoch und heilig versprochen hatte, das Langzeit-EKG am Samstag vormittag zurückzubrigen. Meine Frau hat mich dann sofort telefonisch freigegeben für die Anschlussheilbehandlung. Immerhin, dann hab ich es auch schneller hinter mir.

AHB langsam ausgehen lassen

Montag geht es an den Endspurt der AHB. Als erstes ein Schreck in der Morgenstunde: Wir würden Ihren Aufenthalt in der AHB gerne verlängern. Um Gottes Willen, NEIN!

Die AHB besteht aus wenigen halbstündigen Zeitfenstern in denen die Therapeuten fast ausnahmslos mindestenes fünf Minuten zu spät kommen und weitere fünf Minuten für Begrüßung und Verabschiedung draufgehen. In der Neuropsychologie und Arbeitstherapie spielte sich das meiste mit Computerprogrammen ab, wobei hochbezahlte Ergotherapeuten und Neurophychologen lediglich daneben sitzen. Kostspielige Studien sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wenn man Patienten CD’s mitgibt, der Erfolg genau so gut ist und die Krankenkassen viel Geld sparen. Obwohl wir morgens gegen 7:45 Uhr von dem Schuttelservice an der Klinik abgesetzt wurden, fingen die Therapien nicht von 8:30 Uhr an, meist erst gegen 9:00 bis 9:30 Uhr. Mittags war die letzte Therapie um 11:50 Uhr zu ende, der Schuttelservice setzte sich nie vor 12:30 Uhr in Bewegung. Die Therapiezeiten betrugen in Schnitt zwei Stunden je Tag. Wenn man rechtzeitig im Aufenthaltsraum der Tagespatienten war, gab es noch Kaffee aus der einzigen Thermoskanne. Die Therapien berücksichtigen den Patienten eher weniger. Sport und Physiotherapie ist super, wenn man körperliche Einschränkungen hat. Hatte ich aber nicht. Trotsdem ist die halbe Therapiezeit dafür draufgegangen. Es war auch nicht schlecht. Ich war beim Gleichgewichstrainging, beim Stabilitätstraing in Form von ausgezeichnteter Gymnastik, beim Ausdauertainig in Form von Fahrradfahren, Laufband und Wassergymnastik. Aber ein Sportverein und eine CD wären nachhaltiger, zeitsparender und kostengünstiger. Zumal in der letzten Therapiewoche die Therapien sanft heruntergefahren wurden. Immerhin erhielt ich in der REHA Hilfe bei der Beantragung des Schwerbehindertenausweises und konnte bei der Neuropsychologin meine Fahreignung prüfen lassen.

A pros pos Wassergynmastik: Ich laufe zum ersten Mal seit dem Schlaganfall die Treppe hinunter in das Schwimmbecken und rechne nicht damit, dass irgendwas anders sein könnte als vor den Schlaganfall. Als ich bis zu der Brust im Wasser bin, habe ich das Gefühl, zum ersten Mal im Leben im Wasser zu sein. Der Schwindel vergeht jedoch nach ein paar Sekunden. Ich versuche einen ersten Schwimmzug und tauche ab zum Beckenboden. Als ich vor dem Therapeuten wieder auftauche werde ich eingenordet: Nicht so wild und auf keinen Fall tauchen.

Das gesamte Personal, das ich in der AHB gekennengelernt habe, war ausnahmslos zuvorkommend, hilfsbereit, hoch motiviert und ausserordentlich freundlich. Besonders die Therapeuten haben einem das Gefühl gegeben, dass man denen absolut nicht egal ist. Danke!

Warum die Fahreignungsprüfung auf den allerlezten Drücker gemacht wird verstehe ich nicht. Wohl damit keine Gelegenheit zur Wiederholung besteht. Aber alles ging gut. Mittwoch morgen erhalte ich das Ergebnis, ich könnte aus neurologische Sicht sogar einen Bus fahren, wenn ich denn einen LKW Führeschein hätte.

Die Neuropyschoglogin quetschte ich noch zu meinem Selenheil aus. Wenn die Angst vor dem Rückfall größer wird als das eingenliche Risiko, müsste ich mir Gedanken machen. Beispielsweise, wenn ich vor dem Joggen mit einem Kumpel mehrfall prüfe, ob der Akku des Handys aufgeladen ist. Das ist jetzt aber so. Wenn das nicht abnimmt, sollte ich mir prosessionelle Hilfe suchen.

Am Nachmittag probiere ich meine Fahrkünste gleich in meinem PKW aus und stelle fest, dass ich mich fühle, als ob ich keine Krankengeschichte hätte und die letzten Monate durchgefahren wäre. Wesentlich besser als nach dem Versuch vor der AHB.

Vorgestern war ich beim Karate. Ein wenig Angst war dabei. Angst vor dem Rückfall. Aber es ging wieder verhältnismäßing gut. Aufwärmtraining, Kiohon – Grundschule – und einige Katas. Gestern Schwertkampf. Klar dass man alle paar Minuten das Pulszählen beginnt. Aber es ist, wie sagte ich schon, ein wenig Normalität. Wow, herumlaufen, wie die anderen, schlagartig stehenbleiben und rückgwärtig chunad chamiai, dass ganze zwanzig mal, das tut gut. Vermutlich mit zu hohem Puls und damit mit zu hohem Blutdruck. Erst heute hat dich der Therapeut vom hohen Ross heruntergeholt. Fahrradtraining mit läppischen 100 Watt. Oh, Blutdruck 200 zu irgendwas, da müssen wir mal die Leistung halblieren. Schitt, dass sollte mir doch nix mehr ausmachen.

Später, Ende Dezember, habe ich die letzten groben Schreibfehler im Kapitel Schlaganfall ausgemerzt. Das Schreiben ging da bereits weitestgehend wie früher. Nach dem Schlaganfall konnte ich Buchstaben malen, nicht ein einziges Wort schreiben.

Zurück zum Hodenkrebs

So, den Schlaganfall müssen wir ein wenig zur Seite legen. Abgesehen davon, dass da nichts mehr zu erwarten ist, ausser einem Rückfall. Donnerstag wird das CT gemacht, was das weitere Vorgehen in Punkto Hodenkrebs bestimmen wird. Die Ergebnisse der Tumormarkeruntersuchung habe ich noch nicht nachgefragt.

Inzwischen ist Donnerstag mittag und ich halte die CD mit den Aufnahmen des CT in den Händen. Mein Urologe kann nichts mit der CD anfangen und will den Bericht des Radiologen abwarten. Bei dem Telefonat mit dem Urologen erfahre ich beiläufig, dass ein Turmormarker erhöht ist (AFP 11,2 Normbereich 8,4). Da wird ne kleine Nachbehandlung fällig. Ich kann Freitag mittag mal nachhören, ob es was neues gibt. Immerhin ist der Urologe bereits im Gespräch mit dem Krankenhaus und nächtsten Dienstag sieht man vermutlich klarer wie es weitergeht. Anschließend gehe ich kurz beim Hausarzt vorbei, um mir ein neues Rezept für das Magenschutzmittel zu holen. Er sagt mir kurz hallo und bedauert mich bei dieser Gelegenheit. Wenn ich was für Sie tun kann… Ja, verschaffen Sie mir Heilung oder geben Sie mir die Kugel.

Ich hab langsam die Schnauze voll! Sagte ich das schon?

Die einzige von etwas tausend Apotheken in Siegen, die das Allerweltsmedikament Patozol von der richtigen Firma in der richtigen Packungsgröße hat, kann diesmal auch nicht helfen. Wieso gibt es so viele Apotheken, die alle keinen Parkplatz vor der Haustür haben, weil alle mitten in der Stadt auf einem Knubbel sitzen und alle zu klein sind um eine einigermassen akzeptable Auswahl zu haben. Zum Trost gibt aber schon mal zwei Schachteln. Wenn ich in einer Apotheke den Satz, „sind Sie heute Nachmittag oder morgen noch mal zulällig hier“ oder noch besser „brauchen Sie das Medikament dringend“ nicht höre, vermisse ich was. Nein ich bin zufällig vorbeigekommen und dachte, könntest mal Herztropfen mitnehen, wenn nich is auch nicht schlimm. Ich werd mir jetzt mal Doc Morris ansehen. Das dauert zwar einen Tag wie meist auch in der Apotheke, aber die liefern dann ins Haus.

Freitag Mittag gibts noch nix neues vom Urologen. Heute hab ich ein bischen Bammel vor dem Schwertkampf, zumal der Blutdruck bei 130 / 87 liegt. Gestern wars schon recht anstrengend beim Karate. Ich ruhe mich heute besser vor dem Fernseher aus und denke noch ein wenig an die Endlichkeit des Lebens.

So langsam habe ich das Gefühl, den Boden unter den Füssen zu verlieren. Wegen des Schlaganfalls traue ich mich nicht alleine zu bleiben, Joggen und Fahrrad fahren geht also auch nicht alleine. Beim Karate und beim Schwertkampf messe ich ständig den Puls und habe Angst, dass mir schwindeling wird oder eine Taubkeit oder eine Lähmung auftritt, sprich einem erneuten Schlaganfall. Selbst wenn der Hodenkrebs besiegt sein sollte, werde ich das erst in einigen Jahren wissen. Auf meinen Job kann ich mich noch nicht wirklich konzentrieren und es wird nur eine Frage sehr kurzer Zeit sein, wann die Kollegen von mir wissen wollen wie es weitergeht.

Sonntag fahr ich mit dem Kleinen zum Karate. Nachdem mich jeder darauf angesprochen hat, wieso ich meinen weissen Gürtel wieder rausgeholt habe, nehm ich jetzt den orangenen und stehe auch wieder links in der Reihe. Heute nehme ich keine Rücksicht, habe kein schlechtes Gewissen und gebe alles. Kein Schwindel, kein Herzrasen, es geht erstaunlich gut. Montag beim Anfändertraining das gleiche.

Dienstag morgen rät der Urologe nach einem Telefonat mit dem Krankenhaus zu ein besser zwei weiteren Chemos. Eine RLA (Bauch auf, Gedärme raus, Lymphknoten raus, Gedärme rein, Bauch zu) wäre besser in spezialisierten Zentren durchzuführen für mich als Risikopatient. Der Schlaganfall kommt vermutlich von dem Pneu und wird sich mit hoher Warscheinlichkeit nicht wiederholen, versucht er mich zu beruhigen. Der Tag der Entscheindung rückt näher. Wäre es das mit dem Hodenkrebs gewesen wenn ich nun nix unternehme, oder würde der in einem Jahr dramatischer als je zuvor vor mir stehen? Besser wären die Chemos. Was, wenn ein weiterer Schlaganfall kommt, und wenn der nicht so glimplich abläuft wie der Erste? Ich hatte großes Glück, ein Warnschuss! Hodenkrebs ist nach wie vor heilbar, und der Schlaganfall ist passee.

Hey, ich war Mittwoch beim Karate, nicht beim Anfängertraining, mit keinerlei Einschränkungen – ich sollte jubeln, nicht mal nennenswerter Schwindel – mir kribbeln die Daumen, inzwischen beide, insofern gehe ich davon aus, dass das am Cisplatin liegt und nicht am Schlaganfall.

Montag wiegelt der Chefarzt ab. Wieso werde ich als normalsterblicher Kassenpatient überhaupt vom Chefarzt empfangen, da stimmt doch was nicht. Er ist sehr nett, nimmt sich Zeit, bedauert meinen Schlaganfall und den Pneu. Die Lymphknoten seien ok und die Turmormarker im Normbereich. Also kein Handlungsbedarf und engmaschig beobachten. Halt, AFP und LDH sind nicht im Normbereich, hier die Werte vom niedergelassenen Urologen. In der Zettelwirtschaft der Krankenakte findet sich was. Tatsächlich, vor einem Monat war der AFP auch noch nicht in der Norm. Also, wir messen noch mal nach. Prinzip Hoffnung. Freitag soll ich anrufen und mich nach den Werten erkundigen. Na schönes Wochenende wenn sie noch angestiegen sind. Der Chef raubt mir die Hoffnung, das der Schlaganfall vom Pneu hätte kommen können. Cisplatin ist schon nen Sauzeug. Angiotoxisch (Gift für die Adern) halt, aber wieso Schlaganfall? Wenn jetzt noch was kommt, wovon ich nicht ausgehen soll, dann möge ich mich besser in ein Hodenkrebs Zentrum begeben. Das gibt es zum Beispiel in Aachen oder Münster. Aber Chemo ist genauso ein Risiko wie die RLA Operation. Auf der CD mit dem CT habe ich einem Lymphknoten vor der linken Niere gefunden. Der Doc beruhigt mich, das ist Kontrastmittel im Darm. Noch abends im Karateanfängertraining ist mir richtig schwindelig. Ich konnte den Tag nichts essen, weil ich nach dem Krankenhaus kurz beim Zahnarzt war und dannach zum Karate wollte. Das Leben bleibt spannend.

Ob ein Pychologe helfen könnte? Früher, vor dem Hodekrebs, wusste ich, das ich auf der Autobahn verenden oder vom Baum erschlagen werden könnte. Aber das war weit weg. Jetzt ist der Tod ständig präsent. Gleich gehts erst mal zum Schwertkampf. Schwertkampf und Karate lassen mich einen kurzen Augenblick vergessen. Anschließend zwei oder drei Bier, dann ist die Angst erträglich. Morgens versuche ich so lange wie möglich zu schlafen. Die Angst kommt erst über den Tag, wenn ich wie immer nach Halbwertzeit, Theraphien, Staging, Überlebensrate, Tumormarker oder Messfehlern google auf der Suche nach einem Hoffnungsschimmer. Heute, Mittwoch, war ich wieder bei Karatetraining. Neben Kopf und Händen war der rechte Unterschenkel zeitweise taub.

Zuvor hat sich die Wirbelsäule bemerkbar gemacht. Schlaganfälle können Verspannungen auslösen, die vom Schwindel herrühren, hörte ich mal eine Physiotherapeutin sagen. Egal, es kommt wie es kommt. Allerdings war das Training sehr anstrengend. Auf der Rückfahrt kann ich schlecht sehen, mir schießen die Tränen aus den Augen. Nach den zwei Pappbechern Wein in der Garage gehts etwas besser. Trotz Krebs und Schlaganfall ist die köperliche Stärke besser als zuvor. Zumindest geht es mir besser, wenn ich in den Spiegel schaue und die Narben vom ZVK, Hodenoperation und Pneu-Drainage ausblende. Die Kondition lässt zu wünschen übrig, aber da kann man ja noch dran arbeiten. Der Spagat macht leichte Fortschritte.

Donnerstag stelle ich mich darauf ein, dass alles schief geht. Als ich Freitag morgen aufwache, habe ich den Eindruck, dass ich mich bereits daran gewöhnt habe. Ich habe es nicht eilig im Krankenhaus anzurufen. Als ich es dann am späten Vormittag tue, macht es der Doc noch etwas spannend: Ja, die Ergebnisse liegen irgendwo auf meinem Schreibtisch, glaube war alles im grünen Bereich, ich rufe zurück. Ein paar Minuten später der erlösende Anruf. Alles ok, AFP 11,6. Moment, zuvor waren die doch mit 11,2 noch zu hoch. Wohl Messungenauigkeit. Gabs da nicht verschiedene Einheiten? Ah, der niedergelassene Urologe beauftragt ein Labor, die in UI/ml messen und das Krankenhaus eines, dass in ng/ml misst. Wenn man die Werte umrechnet, sieht die Kurve schon besser aus. Dennoch hat offensichtlich jedes Labor eigene Norm- bzw. Grenzwerte. Woran das liegt kriege ich auch noch raus. Das Labor, das vom Krankenhaus beauftragt wird, legt die Messlatte auf 13.4. Alles gut! Auch der LDH hat eine Punktlandung in den Normbereich gemacht. Jetzt noch dem Urologen die frohe Botschaft per email verkünden und dann die nächsten drei Monate keine Sorgen machen. Auch nicht so einfach, es hätte besser sein können. Was red ich, alles super! Auch wenn man unterschiedlicher Ansicht bezüglich der Normbereiche ist, die Werte sinken und die Halbwertzeiten gelten nur für den Fall, dass der Körper schlagartig tumorfrei ist.

Erst mal geschafft! Durchatmen, weiterleben. Ich kann mich aber nicht freuen. Abgesehen von den restlichen Folgen des Schlaganfalls und der Chemo, finde ich mich in einem großen Loch wieder. Persönliche Wünsche und Ziele – Fehlanzeige.

Gestern hatte ich gegen Ende des Schwertkampftraings wieder massiven Schwindel, nachdem dieser beim Aufwärmtraining vollständig verschwunden war. Heute ist der Schwindel deutlich besser, ich werde mal den Kaffeekonsum senken. Gestern waren es bestimmt zehn Tassen.

Nach dem Aufstehen laufe ich orientierungslos durchs Haus und legen mich wieder hin. Ich weiss nicht was ich machen soll, ich hab nichts zu tun, mir fällt nichts ein. Das gabs noch nie in den letzten Jahrzehnten. Nach einer Stunde setze ich mich mit einem Glas Bier an den Rechner und schreibe diesen Absatz. Der Zeitraum der letzten vier Monate war die bisher heftigste Achterbahnfahrt meines Lebens. Durch die Schlaganfallwatte wirkt diese Zeit und das Heute wie ein übler Traum. Mit dem Tod konfrontiert zu werden ist neu. Es gibt keine vergleichbare Erfahrung. Ich hatte mich mit dieser Nähe und Intensität noch nicht mit dem Tod auseinandergesetzt. Die Schlaganfallwatte? Wenn äusserlich bereits wieder alles im Großen und Ganzen in Ordnung ist, wenn man so unendlich viel Glück hatte, so bleibt dennoch etwas im Kopf zurück. Ich kann es nicht in Worte fassen, am ehesten trifft es Schaganfallwatte. Ein wenig Schwindel, ein wenig Angst, ein wenig Antrieblosigkeit, ein wenig Konzentrationsmangel, ein wenig Müdigkeit, ein wenig Gleichgültigkeit und das Gefühl, als hätte man den Boden unter den Füßen weggezogen bekommen. Man driftet sanft im Raum umher mit Watte in den Ohren und fragt sich, was mach ich hier eingentlich.

Mit einem Freund gehe ich abends aus. Wir laufen dazu zwei Kilometer in die Stadt und ich erzähle die ganze Zeit, vergesse ständig nachzusehen ob das Handy aufgeladen ist. Am nächsten Tag, Sonntagstrainig Karate, vergesse ich das Handy ganz. Ich kann mir auch nicht lange Sorgen darum machen, die Stunde Freikampf erfordert meine ganze Kraft und Konzentration.

Ein paar Tage vor Weihnachten schaffe ich drei Stunden Training am Stück. Ha! Beim Mukoso gehe ich erstmalig vorsichtig mit dem Kopf bis auf den Boden, ohne dass Schwindel aufkommt. Ich bin inzwischen wieder den ganzen Tag im Büro und kann mich immer besser konzentrieren. Der Schwindel tritt nur noch selten und weniger heftig auf. Obwohl es in letzter Zeit mit der Sprache langsamer voranschreitet, telefoniere ich wieder mit meinen Kunden, schreibe Angebote und besuche Lieferanten in der Nähe. Alles deutlich langsamer als von ein paar Monaten. Als ich mit dem ersten Kunden telefoniert hatte, hatte ich das Gefühl von „ich bin wieder da“. Es geht bergauf. Ich atme immer noch jeden Morgen auf, wenn ich vorsichtig aufgestanden bin und alles in Ordnung ist.

Januar 2012: Karatelehrgang mit drei! Trainingseinheiten und anschliessender Prüfung. Ein toller  Tag! Mein Kleiner und ich halten abends einen neuen Gürtel in den Händen.

update folgt …

so schrieb ich an dieser Stelle, als ich den ersten Chemozyklus durch hatte. Heute hoffe ich, das es in Zukunft nicht mehr viel zu berichten gibt.

Als der Krebs in mein Leben trat, hatte ich nicht „hier“ gerufen, ich hätte gern abgelehnt. Die Erlebnisse und Erfahrungen seit der Diagnose will ich aber um keinen Preis hergeben. Na ja, die Aussage würd ich so seit dem Schlaganfall nicht mehr stehenlassen.

Inzwischen finde ich es müßig, darüber nachzudenken, ob es gut geht, ob ein Rückfall kommt, ob ich beim Karate einen Herzinfarkt oder einen weiteren Schlanganfall erleide oder auf dem Weg ins Krankenhaus vom Bus überfahren werde. Aber ein wenig denke ich schon drüber nach; um ehrlich zu sein etwa alle zwei Minuten.

Ich habe mir vorgenommen, auf die Anschlussheilbehandlung zum Hodenkrebs zu verzichten und die REHA in den nächsten Jahren abends im Karate Dojo zu absolvieren. Die Karate-REHA ist bereits in vollem Gang. Ich trainiere inzwischen wieder wie im Sommer. Im nachhinein muss ich sagen, dass mir die AHB in der neurologischen Klinik sehr geholfen hat, zu erkennen wo ich stehe und um dem Körper wieder mehr zu vertrauen. Was ich mit Körpervertrauen meine? Nun, dass ich nicht ständig die Angst vor einem Rückfall habe. Ich kann meinen Körper etwas abverlangen, beispielsweise eine Fahrradtour oder um den See joggen – dauert noch was, bis ich mich traue, alleine in den Wald zu gehen. Und man ist hoffnungsweise nicht sein restliches Leben krank – auch hier gibt es noch Arbeit.

Danke an Alle, die mir geduldig zugehört haben, die mir klar und offen die Meinung gesagt haben, die mich mit Sarkasmus, Ironie oder Lachen aufgemuntert oder Überstunden am Chat gemacht haben, an die zahlreichen Profis im Krankenhaus (von der heiteren Putzfrau bis zum charismatischen Chefarzt) und an die Wissenschaft, die die Chance ermöglicht hat.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert