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Bericht einer Krebsbetroffenen

Ich bin Alleinerziehende und habe 2 Kinder, heute 22 und 26 Jahre alt.

Bis zu meinem 44. Lebensjahr war ich berufstätig als Lohnbuchhalterin, anfangs halbtags, der Kinder wegen, später Vollzeit. Mein Beruf hat mir immer Spaß gemacht, aber ich hatte das Pech, in einer Firma zu arbeiten, in der das Betriebsklima sehr schlecht war. Menschen wurde alles versprochen und nichts gehalten. Ich habe mitgelitten, so dass es mir oft körperlich weh getan hat, dies ist krankmachend. Dann ging die Firma in Konkurs und ich war penetrant überfordert (Dauerstress), so dass ich keine Nacht mehr geschlafen habe. Ich habe öfters versucht, meine Lage zu besprechen, es war hoffnungslos. Das Dilemma war, dass mir die Arbeit Spaß gemacht hat, die Kollegen super waren und das Gehalt stimmte. So blieb ich und wurde fast zwangsläufig krank. Alarmsignale habe ich übersehen. Eine „Vorbelastung“ seitens der Familie kommt sicher auch dazu. Meine jüngste Schwester starb 1987 mit 33 Jahren an Krebs und mein Vater litt im Alter an einer Tumorerkrankung. Zwei Schwestern von ihm ebenfalls.


Ende 1990 wurde ich krankgeschrieben: „Leistungsknick“, hieß es damals, es kamen zu dem Erschöpfungszustand Kreuzschmerzen hinzu die stärker wurden. Auf mein Drängen wurde ich gründlicher untersucht und nach mehreren „guten“ Befunden (Magen, Darm, Kopf) wurde ein Schatten im Bauchraum entdeckt, der sich nach dem CT (Computer-Tomograhie) als Geschwür zeigte. Nun hieß es auf der Krankmeldung: „Tumorsuche“, das war Weihnachten 1990.

Im Januar hatte ich bereits unerträgliche Schmerzen und kam am 07.01.91 stationär ins EK Ravensburg und bekam Schmerzmittel, allerdings ohne dass ich wusste, dass es Mophium war. Es wurden mehrere CT`s gemacht, eine Tumor-Punktion, eine Lymphographie, eine Myelographie, eine Knochenmarkspunktion, mehrere Sonographien, mehrere Röntgenaufnahmen sowie je ein Knochen- u. Schilddrüsenszintigramm. 14 Tage später wurde ich zum erstenmal operiert, man sagte – auf Verdacht – da man nichts Genaues sagen kann.

Es war die Teilentfernung eines Weichteilsarkoms (Sarkom = bösartige Geschwulst mit Ursprung im Bindegewebe der Organe, Weichteil-, Stütz- u. neurogenem Gewebe) am linken Lendenmuskel Psoas. Der Chirurg hat mich irgendwann wissen lassen, nachdem ich tagelang auf das Ergebnis gewartet hatte, dass schließlich Herz-Kreislauferkrankungen viel häufiger vorkommen als Krebs. Die Frage nach der Bösartigkeit und der Teilentfernung hat er mir nur mangelhaft und schon unter der Türe stehend beantwortet. Ich weiß noch heute genau, wie alleingelassen, wie hilflos und wie ohnmächtig ich mir vorkam.
Nach 14 Tagen bekam ich eine Strahlentherapie ( 6 MV Photonenstrahlung bis zur Dosis von 50,4 GY), die bis Anfang April 91 dauerte. Ich konnte schon damals kein Essen mehr behalten. Es stellte sich sehr schnell heraus, dass der Tumor sich trotzdem rasch vergrößert hat und bereits an die Wirbelsäule gewachsen war.

Zu mir selber sagten die Ärzte aber nur, dass ein Nerv eingeklemmt sei und ich mußte stationär auf die Neurologie. Ich hatte unerträgliche Schmerzen und bekam, nachdem kein Schmerzmittel mehr half, einen Schmerzkatheter mit Morphium.

Die Ärzte sagten mir, sie können nichts mehr für mich tun!!!  Es war Mai 91.

Nach ein paar Wochen kam ich auf Veranlassung meines behandelnden Arztes nach München-Großhadern. Im Vorfeld, nach Sicht meiner Bilder meinten die Münchner Ärzte, sie könnten mich nicht behandeln, der Tumor liege an einer zu gefährlichen Stelle, sie hätten so etwas noch nie gemacht und man müsste im besten Fall mit einer Querschnittslähmung rechnen. Darauf gaben die hiesigen Ärzte – das habe ich in der Zwischenzeit erfahren – zur Antwort: „Ihr könnt die Patientin ruhig nehmen, die stirbt sowieso!“

Ich wurde in eine Studie von Dr. Rolf Issels aufgenommen, die von der Mildred-Scheel-Stiftung finanziert wurde. Zu der Studie gehören 5 Zyklen Chemo- mit Hyperthermie (Chemo: VP-16, Adriplastin, Holoxan u. Ifosamit), Operation und 4 Zyklen anschließend zur Sicherheit bzw. Nachbehandlung. Dies so, wenn alles glatt läuft.

Die Therapie bekam ich von Mai – Sept. 91. Ich hatte bis dahin 40 Pfund abgenommen und alle Haare verloren. Die ganze Zeit bekam ich durch den Schmerzkatheter alle 4 Stunden Morphium, die 10 Tage zwischen der Therapie zu Hause spritzte ich mir die Dosis selber.

Gegen Ende der Therapie wurde von einer deutlichen Größenabnahme des Tumors gesprochen, nicht aber vom Absetzen des Morphiums. Dies habe ich auf eigene Faust selber reduziert, mg für mg, bis kurz vor der 2. Operation. Diese wurde auf den 24.10. festgelegt.

Am Telefon sagte mir ein Arzt, man müsse mir den Lendenmuskel herausschneiden!!! Auf meine Frage, was dies für mich bewegungmäßig bedeuten würde, sagte er, das wisse er auch nicht. Am Abend vor der OP eröffneten mir die Ärzte dann noch, dass der 3. Lendenwirbel, der von dem Tumor angefressen worden sei, in Titan ersetzt werden müsse.

Bei der OP wurde dann statt dessen eine Spongiosaplastik gemacht, d.h. der Wirbelkörper wurde mit eigenem Knochenmaterial (aus der Hüfte) aufgefüttert. Der Schnellschnitt ergab keinen Anhalt für Malignität oder für einen Tumor. Ich erholte mich nicht, wie es zu erwarten gewesen wäre, konnte keine Nahrung behalten und wurde immer schwächer. Ich bekam einen festen Katheter und wurde künstlich ernährt.

8 Wochen nach der OP wurde ein Darmverschluß erkannt und operativ beseitigt, nachdem mir zuvor 14 Tage lang mittels einer Sonde durch die Nase der Mageninhalt entleert wurde. Bei dieser OP stellte der Chirurg fest, dass mir in München – aus Versehen – der Magen mit angenäht worden war!!

Im April 92 Entfernung des Katheters im EK Ravensburg und von da ab kontinuierliche Besserung des AZ und der Gesamtsituation.

Anfangs war ich mir der „Gefahr“ nicht bewusst, ich habe immer geglaubt, ich könne im nächsten Monat wieder arbeiten, so ging das von Monat zu Monat. Begriffen und akzeptiert habe ich meine Krankheit so nach 5 – 6 Monaten, Zeit hatte ich ja genug, darüber nachzudenken, erst dann habe ich, so glaube ich heute, angefangen zu kämpfen bzw. den Zustand zuzulassen, auch, als ich körperlich sehr schwach war. Im Nachhinein weiß ich, dass die Zeit des Tumorrückgangs zusammentrifft mit meinem Umdenken, mein Leben betreffend, z.B., nicht mehr in diese Firma zu gehen, was immer dies finanziell für mich bedeutet.
Sehr dabei geholfen hat mir mein großes Gottvertrauen, anzunehmen, was auch kommen mag und dass dies so gut ist. Dies gab mir Ruhe, z.B. vor Operationen. Geholfen hat mir auch das Wissen um Menschen, die diese Krankheit überstanden haben.

Verändert hat sich mein Leben total. Ich habe gelernt, „nein“ zu sagen, mich wichtiger zu nehmen, bewusster zu leben, bewusster zu essen. Ich weiß, was mich krank macht und kann mich bemühen, solchen Situationen aus dem Weg zu gehen. Bei allen gutgemeinten Ratschlägen, den vielen, vielen Büchern, die es gibt, muss der Patient selber versuchen, seinen Weg zu finden.

Mein Kontakt zur „Lebens-Schule“ im Aug. 91, als ich das Gefühl von Lebens- und Existenzangst hatte und spontan u. psychologisch von Fr. Dr. Reincke betreut wurde, war für mich ein Segen. Ich habe mich sofort verstanden und aufgehoben gefühlt.

Im Nov. 91 absolvierte ich dort einen Intensivkurs für Krebsbetroffene. In dieser Woche starb auch mein Vater an Krebs. Ich war körperlich nicht in der Lage, meinen Vater noch mal zu sehen oder zum Begräbnis zu gehen. Frau Dr. Reincke hat mich auch in dieser Situation begleitet, so dass ich für mich in Gedanken Abschied nehmen konnte von meinem Vater.

Heute arbeite ich ehrenamtlich für den Verein, beratend und Erfahrungen weitergebend am Telefon und leite das Büro. Ich persönlich finde an der „Lebens-Schule“ so gut, dass dort nicht nur Betroffene, sondern auch Helfer, Angehörige und Interessierte sind und teils mitarbeiten. Eine Betroffene aus dem Intensivkurs sagte mir neulich, dass ihr die Unterstützungsgruppe wesentlich geholfen hat, die Krankheit zu bewältigen und zu verarbeiten.

Alles in allem möchte ich die Krankheit nicht missen samt den damit verbundenen Erfahrungen, gute und schlechte.

Viele Menschen, die ich durch meine Krankheit kennen gelernt habe, stellen eine Bereicherung in meinem Leben dar, z.B. eine Nachtschwester, die mir wie ein Engel vorkam. Dann eine Bekannte, die zu mir gesagt hat : „Ich trag`s  mit  Dir“  viele sagten, sie beten für mich. So kam ich auch in einen Haus- oder Gebetskreis und dort fühlte ich mich geborgen und getragen.

Ohne die Krankheit hätte ich vieles nie in dieser Intensität empfinden können. Es gab im Familien- u. Bekanntenkreis Gespräche, die in ihrer Tiefe so nie geführt worden wären, wäre ich nicht lebensbedrohend krank gewesen. Man spürt die menschliche Nähe fast körperlich und ist sich ganz klar bewusst, dass dies im „normalen Leben“ nicht möglich wäre. Dies kann dazu führen, dass man stellenweise das Kranksein genießt.

Das Verhältnis zu meinen Kindern ist wieder viel inniger geworden, wir sind in der Zeit richtig zusammengewachsen, wahrscheinlich gerade weil es eine sehr schwere Zeit für uns alle war. Meine Tochter sagt oft, ich sei viel ruhiger geworden und ich hätte mich positiv verändert.

Negativ habe ich in den 14 Monaten meiner Krankheit vieles empfunden: Die mangelnde Information im Krankenhaus über Beratungsmöglichkeiten, über den Sozialdienst im Krankenhaus und über Selbsthilfegruppen.

Die Unfähigkeit der Ärzte, mit den Patienten zu reden, die mit Fachausdrücken gespickten Unterhaltungen untereinander am Bett des Patienten, ohne diesen miteinzu-beziehen. Die fehlende Kommunikation der Ärzte untereinander. Keine klar verständigen Erklärungen vor Untersuchungen und zu Einverständniserklärungen.

Das Gefühl zu haben, nur ein „Fall“ zu sein. (Beispiel: Schmerzkatheter, ZVK – Loch i.d. Lunge, volle Dosis Chemo bei der Nachbehandlung,  Magensonde, usw.)

Am Schwersten überhaupt für mich ist es, Hilfe anzunehmen. Gerade in einer Krankheit gibt es viele Situationen, in denen man ohne fremde Hilfe nicht weiterkommt. Es kostet mich heute oft noch Überwindung, obwohl ich gelernt habe, bestimmte Dinge ohne schlechtes Gewissen anzunehmen.

Ich kann heute aus meiner Erfahrung heraus vielen Betroffenen und den Angehörigen weiterhelfen und diese besser verstehen. Dies sehe ich als meine Aufgabe.

Abschließend muss gerade ich betonen, dass die Schulmedizin durchaus seine Berechtigung hat, aber zuwenig, bzw. gar nicht mit alternativen Ärzten u. Methoden zusammen arbeitet, sie schließt das Seelische aus.

Nov.93

Zusatz zum Bericht

07.01.91 - 22.01.91EK, RVVoruntersuchungen
20.01.91 - 07.02.91EK, RVOperation, Teilentfernung
07.02.91 - 18.02.91EK, RVStrahlenbehandlung
26.02.91 - 25.03.91EK, RVStrahlenbehandlung
18.04.91 - 09.05.91 EK, RVSchmerztherapie
13.05.91 - 17.05.91Großhadern, MünchenChemo- u. Hyperthermie
20.05.91 - 28.05.91Großhadern, MünchenChemo- u. Hyperthermie
11.06.91 - 18.06.91Großhadern, MünchenChemo- u. Hyperthermie
01.07.91 - 07.07.91Großhadern, MünchenChemo- u. Hyperthermie
23.07.91 - 30.07.91Großhadern, MünchenChemo- u. Hyperthermie
25.08.91 - 31.08.91Großhadern, MünchenChemo- u. Hyperthermie
15.09.91 - 19.09.91Großhadern, MünchenStaging
22.10.91 - 06.11.91 Großhadern, MünchenOperation
12.11.91 - 19.11.91Großhadern, MünchenChemo- u. Hyperthermie
03.12.91 - 23.01.92 EK, RVOperation (Darmverschluss)
01.04.92 - 07.04.92EK, RVEntfernung Katheder

Untersuchungen und Aufnahmen innerhalb von 12 Monaten !

1 x Lymphograpie
1 x I.V.. Urographie
5 x Nieren Clearence
1 x Myelographie
4 x Ganzkörper-Skelett-Szintigraphie
1 x Schilddrüsen-Szintigraphie
2 x Kernspintomographie
22 x Computer Tomographie
16 x Röntgen (Thorax, Magen, LWS, BWS, usw.)
4 x Ganzkörper Clearance
5 x Zentraler Venen-Katheder
20-30 Bluttransfusionen

Weingarten, den 23. November 1993

Informationen zur Lebensschule für Krebsbetroffene und Helfer e.V.

Die „Lebens-Schule für Krebsbetroffene und Helfer e.V.“ wurde im März 1992 in Wolfegg von Krebsbetroffenen, Helfern und interessierten Bürgern gegründet. Im Rahmen des Wettbewerbs “Kommunale Bürgeraktionen“ wurden wir im Januar 2001 als einer unter 45 Vereinen in Baden/Württemberg für „vorbildliches ehrenamtliches Engagement“ von Ministerpräsident Erwin Teufel ausgezeichnet. Wir freuen uns über diese Anerkennung unserer Arbeit, die in der Region zunehmend Beachtung findet.

Wir sind seit neun Jahren im psychosozialen Bereich der Krebsnachsorge tätig. Wir veranstalten Gruppen, Ausflüge, Workshops, Seminare, Vorträge und Konferenzen zu kulturellen, medizinischen, psychologischen und religiösen Themen. Sie können uns an sieben Tagen der Woche anrufen und eine ehrenamtliche Beratung sofort oder durch baldigen Rückruf erhalten. Wir machen Besuche am Krankenbett. Wir organisieren Netzwerke, um Schwerkranken die häusliche Umgebung zu erhalten, solange es möglich ist. Wir feiern Feste, an die man sich noch lange erinnert.

Einen weiteren Schwerpunkt bildet das Projekt Ernährung und Vorbeugung. Ist Krebs vermeidbar? Die Antwort: Ja, zum Teil! Ein Drittel aller Krebsfälle könnte durch eine naturnahe Ernährung mit fünfmal täglich Gemüse oder Obst verhütet werden. (www.krebsverband-baden-wuerttemberg.de) (www.dife.de) Dies unterstützt der Verein durch persönliche Beratung, Kochkurse, Gruppen und relevante Information. Darüber hinaus können wir durch ein gezieltes, professionell betreutes und ärztlich geleitetes 7-Punkte-Programm auch dort vorbeugend wirken, wo Krebs bereits eingetreten und behandelt worden ist, jetzt aber der Rückfall verhütet werden soll.

Die Lebens-Schule bildet einen sich ständig erweiternden Container, in dem Betroffene und Helfer, Professionelle und Laien, ehrenamtliche und angestellte Kräfte auf gleicher Augenhöhe miteinander umgehen und wirken. Ansätze und Möglichkeiten zur Selbsthilfe werden von erfahrenen Fachkräften unterstützt. Neben den öffentlichen Angeboten stehen im Kern unserer Aktivitäten die persönlichen Kontakte und die Begleitung von Einzelnen und Gruppen. Gerade dies verdankt der Verein ganz besonders jenen Mitgliedern, die von Betroffenen zu Helfern geworden sind.

Die Verwirklichung unserer Ziele bedarf jedoch der mehrfachen Solidarität. Wir meinen damit die gegenseitige Solidarität der Betroffenen als Schicksalsgemeinschaft, die Solidarität des Vereins mit den Betroffenen als Träger der Initiative und schließlich die Solidarität der Umwelt als Förderer unserer Arbeit.

Dezember 2001

Info zum Verein LEBENS-SCHULE für Krebsbetroffene und Helfer e.V.
www.lebens-schule.org

Eine Antwort auf „Bericht einer Krebsbetroffenen“

Bin 79 Jahre alt u. habe ein grosses Leiomyosarkom am Oberschenkel. Zzt. habe ich Strahlenbehandlung wg. schlechtem AZ 1 Wo. Pause, Hyperthermie geht auch nicht mehr. Ich Schlafe fast nur noch. Eine Op kann erst gemacht werden, wenn der Tumor geschrumpft ist. Ich denke, mir rennt in diesem Zustand die Zeit davon. Wer weiss Rat, besonders Naturmedizin oder kann über Erfolg berichten?

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