Vorgeschichte
Ich war gerade mit dem Abitur fertig, als ich fünf Tage nach dem Abiball (26.06.2004) zum Grundwehrdienst nach Augustdorf eingezogen wurde. Nach der nervigen Grundausbildung hatte ich gerade einen lockeren Job im Büro bekommen, als ichvon der Krankheit überrascht wurde.
Erste Anzeichen
Ich denke es ist so Ende Oktober 2004 gewesen, als ich das erste Mal beim Duschen feststellte, dass sich mein rechter Hoden im Vergleich zum linken komisch anfühlte.Dabei war es nicht einmal die Größe die mich verunsicherte, sondern vielmehr, dass er irgendwie härter war als der andere. Schmerzen hatte ich dabei gar keine.
Ärztliche Diagnose
Ich entschied mich am 03.11.2004, also relativ zügig nachdem es mir aufgefallen war, zum Stabsarzt (im zivilen der Hausarzt) zu gehen. Dabei war bestimmt die gewisse Anonymität die man bei der Bundeswehr hat, ein großer Vorteil. Ich dachte, wenn da nichts ist,wird es nie einer rauskriegen, dass du nur wegen „Dicken Eiern“ zum Arzt gegangen bist. Ich habe zu dem Zeitpunkt auch nicht damit gerechnet, einen Hodentumor zu haben. Ich versuchte mir den veränderten Hoden durch andere Sachen zu erklären. Vor allem dass ich ein paar Tage vorher noch mit kurzer Hose Motorrad gefahren war, erleichterte mir dies sehr. Der Stabsarzt überwies mich für den 04.12.2004 zum Urologen nach Detmold.
Der Urologe machte dann bei mir eine Ultraschalluntersuchung und ließ Blut abnehmen. Irgendwie bekam ich immer mehr das Gefühl, dass es doch etwas schlimmeres sein könnte. Der Urologe vermutete schließlich einen Tumor, übersandte mich aber zur Verifizierung ins Klinikum Lippe-Detmold. Das moderne Ultraschallgerät dort bestätigteden Verdacht: Es war ein Tumor.
Einweisung ins Krankenhaus
Ich meldete mich also mit dem Befund von Klinik und Urologen zurück beim Stabsarztund wurde von ihm ins Bundeswehrkrankenhaus Hamburg eingewiesen. Nach langem Hin und Her und unzähligen Telefonaten, wurde ich auf eigenen Wunsch dochnoch in ein anderes Krankenhaus (Brüderkrankenhaus Paderborn) überschrieben. Das hatte für michden Vorteil, dass ich nur einen relativ kurzen Heimweg (15km) hatte. Am 5.11.2004 war ich zur Besprechung der Operation inPaderborn. Ich entschied mich dafür, beider Operation ein Silikonimplantat einsetzen zu lassen und keine Gewebeprobe des gesunden Hodens (aus Angst den zu beschädigen) zu entnehmen. Die Operation wurde auf den 9.11.2004 angesetzt.
Operation
Ich sollte mich um 8:00 Uhr morgens nüchtern auf der Station melden, da die Operation um 9:00 Uhr starten sollte. Dies verlief alles relativ zügig. Ich saß ein paar Minuten aufdem Bett in der Station, als eine Schwester rein kam, sagte ich soll mir das OP-Hemd anziehen und Schmuckund Brille ablegen. Die Beruhigungstablette war bei mir irgendwie überflüssig; ich bekam sie als ich schon im Bett weg geschoben wurde. Und keine fünf Minuten später gab es eh die Vollnarkose. Die Operation verlief zum Glück ohne Probleme. Um 11:00 Uhr war ich schon wieder auf Station, und ab 13 Uhr konnte ich schon wieder aufstehen. Der Schnellschnitt hatte nochmals endgültig bestätigt, dass es ein Tumor war. Die erste Nacht hatte ich leichte Wundschmerzen, aber man konnte es gut ohne Schmerzmittel aushalten. Die fünf Tage die ich jedoch noch im Krankenhaus bleiben musste, waren übertrieben.
Die Qual der Wahl
Nach der Operation ging es weiter mit der CT Untersuchung. Zum Glück, war auf dem CT nichts zu erkennen.Der pathologische Befund sagte aus,dass es sich bei mir um einen Mischtumor (Teratom, Dottersacktumor, embryonales Karzinom) handelt. Ich holte mir zur Sicherheit eine Zweitmeinung vom Bundeswehrkrankenhaus Hamburg ein, wo mich der sehr nette Oberarzt Dr. Mathies beriet welche Therapiemöglichkeiten mir offen ständen. InPaderborn wurde ich nicht über die drei Möglichkeiten aufgeklärt. Als erstes hätte ich die „Surveillance“ Strategie wählenkönnen, was soviel heißt wie abwarten + engmaschige Nachsorgung. Rückfallrisiko ca. 20%. Die zweite Möglichkeit wäre die RLA gewesen.Dabei entfernt man alle Lymphknoten ausdem Bauchraum, schickt sie zum Pathologen und hofft, dass keine Krebszellen gefundenwerden. Findet man welche, wird eine Chemo angeschlossen. Findet man keine, ist man nach der OP fertig. Rückfallrisiko ca. 2%.Die dritte Möglichkeit war sofort eine Chemo zu machen. Rückfallrisiko 2%.Gar nichts machen war mir zu riskant. Also blieben nur die Möglichkeiten RLA oder Chemo. Da ich vor der OP Schiss hatte (4-5 stündige, relativ komplizierte OP, lange Narbe, Ungewissheit ob anschließend der geschwächte Körper doch noch ’ne Chemo abkriegt), entschied ich mich für die Chemo. Außerdem erfasst die Chemo den ganzen Körper und senkt somit das Risiko das der andere Hoden auch befallen wird um ca. 60-70%.
Chemotherapie – erster Zyklus (29.11.04-13.12.04)
Bevor die Chemo losgehen konnte, wurde mir geraten in Bielefeld etwas Sperma zu konservieren, da man in meinem Alter einen Kinderwunsch noch nicht gänzlich ausschließen sollte. Dies verlief ohne Probleme. Eine Woche später als geplant (es wurde erst gewartet ob die Tumormarker zeitgerechtabfallen, was sie zum Glück taten [jeweils um 50% in 5-7 Tagen]) bin ich zum ersten Block Chemo angetreten, der bei mir fünf Infusionen (Laufzeit sechs Stunden, ca. 2,5 Liter) und zwei einzelne Spritzen umfasste. Ich entschloss mich gegen einen ZVK (Zentralen-Venen-Katheter), und ließ mich dafür lieber jeden zweiten Tag neu mit einer Braunüle „anstechen“. Ab dem zweiten Tagmachten sich die ersten Nebenwirkungen bemerkbar. Müdigkeit, Lustlosigkeit und leichte Appetitverstimmungen. Aber alles in allen hatte ich es mir viel schlimmer vorgestellt. Kotzen musste ich gar nicht. Zum Glück konnte ich auch jeden Tag nach der Chemo nach Hause fahren und dort essen (dasKrankenhausessen schmeckt scheußlich).
Eigentlich ging es mir nur am Samstag nach den fünf Infusionen scheiße. Ich lag den ganzen Tagim Bett und bekam noch ne fiese Verstopfung,die sich aber zum Glück am Sonntag von alleine löste. Ab Montag danach ging es kontinuierlich bergauf; von den zwei Spritzen habe ich eigentlich gar keine Nebenwirkungen gespürt. Nach genau zwei Wochen sind mir schlagartig die Haare ausgefallen, sodassich mich, der Einfachheit halber, einmal mit dem Trockenrasierer gekämmt habe. Gegen Ende des ersten Zyklus bekam ich noch eine Venenentzündung im linken Arm. Die Vene durch die die Chemo floss verhärtete sich, und es dauerte einige Wochen bis sich dies wieder erholte. Teilweise konnte ichden Arm nicht mehrrichtig strecken. Schlimmer war jedoch, dass diese Vene nun für den zweiten Zyklus nicht mehr zu gebrauchen war.
Chemotherapie – zweiter Zyklus (20.12.04-03.01.05)
Da sich die Blutwerte ausreichend gut erholt hatten (niedrigster Stand Leukozyten: 2300), konnte ich fristgerecht den zweiten Zyklus anfangen. Im Großen und Ganzen lief er wie der erste ab, nur dass die Nebenwirkungen schlimmer wurden. Ich kriegte zum Beispiel einige Getränke wie Mineralwasser gar nicht mehr durch den Hals. Darüber hinaus ließ ich jetzt jeden Tag die Braunüle neu verlegen. Insgesamt fühlte ich mich auchnoch müder und lustloser als beim ersten Zyklus. Die Verstopfung hatte es diesmal auch in sich, ging jedoch auch nach ein paar Tagen mit Abführmittel wieder weg. Einen Tag, ich glaube es war der 23.12., hing ich zwar wieder total durch, es ging aber ab dem 26.12. wieder von Tag zu Tag besser. Die Spritzen waren wie beim ersten Mal gut verträglich. Auch wagte ich mich im zweiten Block wieder an Sport ran. Jetzt merkte man erstmal wie einen die Chemo doch mitgenommen hatte. Nach nur einigen Minuten hatte ich relativ starkes Herzrasen, und fühlte mich als wenn ich’n Marathon gelaufen wäre. Ich bekam erneut Venenentzündungen, diesmal rechts und links, und es dauerte noch bis kurz vor Ende der Reha bis ich beide Arme wieder ganz strecken konnte. Eine Vene ist heute noch stark verhärtet und lässt sich zumBlut abnehmen nichtmehr gebrauchen; esist überhaupt fraglich ob sie sich jemals wieder ganz erholen wird. Falls nicht ist es auchkein Halsbruch, da der Körper in der Lage ist „Umleitungen“ zu bilden. Insgesamt hatte ich mir die Chemo schlimmer vorgestellt, bin aber auch sehr froh, dass sie vorbei ist. Und ich hoffe, dass ich da nicht noch mal durch muss.
Rehabilitation
Gegen Ende des zweiten Zyklus erkundigte ich mich, wo es möglich wäre eine Rehabilitation zu machen. Sowohl im Krebs-Kompass-Forum (http://www.krebs-kompass.org ), als auch vom Sozialdienst des Brüderkrankenhauses Paderborn wurde mir die Klinik Katharinenhöhe (http://www.katharinenhoehe.de/website ) in Schönwald (Schwarzwald) empfohlen. Die Klinik hat sich auf krebskranke Jugendliche / junge Erwachsene spezialisiert. Dies war mir besonders wichtig, da meine Zimmergenossen auf der Urologie immer mindestens 45Jahre älter waren als ich. So regelte ich kurzfristig die Reha mit der Bundeswehr ab, und fuhr am 04.01.05, einen Tag nach der letzten Chemo-Spritze, mit meinem Auto 550km runter in den Schwarzwald. Und ich würde es jederzeit wieder machen, da mir persönlich die Reha eine Menge gebracht hat. Das Team ist locker und die Anwendungen sind bis aufwenige Ausnahmen alle freiwillig. Darüber hinaus stellt sich die Gruppe ihr Programm selbst zusammen. Wir waren zum Beispiel Go-Kart fahren, Billard spielen und Bowlen. Die Sozialberater gehen sehr individuell auf die einzelnen Patienten ein. Mir haben sie zum Beispiel Termine im BIZ gemacht oder mich speziell zu einer Studienberatung angemeldet. Ich selber habe dort viele nette Menschen kennen gelernt, mit denen ich auch noch länger im Kontakt bleiben werde. Auch körperlich hat mich die Reha wieder aufgebaut. Ich konnte meine körperliche Leistung pro kg Körpergewicht (misst man auf dem Ergometerrad) innerhalb von vier Wochen um 60% steigern. Man kann diese Entwicklung der Fitness auch gut am Ruhepuls verfolgen; während mein Ruhepuls vor der Erkrankung bei 54 lag, so hatte ich unmittelbar nach der Chemo Werte über 70. Mittlerweile ist er wieder bei ca. 60 angekommen. Die vier Wochen gingen schneller rum als ich dachte und ich hätte gerne noch ein paar Wochen drangehängt.
Fazit / Danksagung
Es ist nie schön eine Krebserkrankung zuhaben, aber imEndeffekt kann man froh sein, dass es „nur“ Hodenkrebs ist. In der Reha ist mir erstmals aufgefallen, dass es andere Leute im selben Alter gibt die mit schlimmeren Krankheiten zurechtkommen müssen. Was über lange Sicht wohl bleibt ist die kleine Narbe in der Leiste und die Angst vor einem Rückfall. Und ich darf keinen reinen Sauerstoff mehr kriegen wegen der Bleomycin-Behandlung. Ich hoffe, dass sich bei mir der Fall erledigt hat und die Nachsorgeuntersuchungen erfreulich verlaufen, damit ich ab dem 01.04.05 in Ruhe studieren kann. Immerhin habe ich noch Glück im Unglück gehabt, da ich durch die Krankheit keine Zeit verloren habe. Bei der Bundeswehr konnte ich die vier Monate die ich krankgeschrieben war gut verkraften. Im Abitur hätte das anders ausgesehen.
Ich danke
- Mama & Papa, für die ganze Unterstützung,
- meiner Schwester Diane die sich viele Stunden im Krankenhaus um die Ohren gehauenhat,
- Oma & Opa, dass ich abends doch noch was Vernünftiges zubeißen hatte,
- Christi, dass sie sich so um medizinische Unklarheiten bemüht hat,
- meinen Freunden, vor allem Florian der fast jeden Tag da war, -allen Ärzten, Schwestern und Pflegern.